Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Passung von Bildungsplänen und betrieblichen Bedürfnissen

Bildungspläne sichern breite Ausbildung – verursachen aber auch Kosten für die Lehrbetriebe

Nicht immer passen die vorgeschriebenen Lerninhalte einer beruflichen Grundbildung perfekt zur Tätigkeit eines Lehrbetriebs. Dieses Passungsproblem kann zu zusätzlichen Kosten für die Lehrbetriebe führen, wie eine neue Studie der EHB zeigt. Diese Kosten wachsen, je breiter die Qualifikationsprofile sind. Umgekehrt sorgen breite Profile aber dafür, dass die Lernenden nach der Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt für eine breite Palette von Stellen qualifiziert sind. Dieses Dilemma ist typisch für die Berufsbildung: Bei der Definition von Berufen und Berufsprofilen muss darum eine optimale Balance zwischen den Ansprüchen der Lernenden beziehungsweise späteren Fachkräfte einerseits und den Ansprüchen der Lehrbetriebe andererseits gefunden werden.


Bildungspläne existieren für alle Lehrberufe in der Schweiz und werden regelmässig aktualisiert. Sie sorgen im Verbund mit den Qualifikationsverfahren für eine gewisse Standardisierung der Ausbildungsinhalte und der Ausbildungsqualität. Dies bietet entscheidende Vorteile sowohl für die Lernenden wie auch für die Betriebe: Die Lernenden wissen, welche Ausbildungsinhalte sie erwarten und können sich darauf verlassen, dass ihnen die entsprechenden Handlungskompetenzen während ihrer Ausbildung vermittelt werden – selbst wenn diese im Arbeits- und Produktionsprozess ihres Lehrbetriebes nicht benötigt werden. Betriebe wiederum, die Fachkräfte mit einer abgeschlossenen Berufsbildung anstellen, kennen aufgrund der Bildungspläne deren Qualifikationen und Handlungskompetenzen. Dies erhöht die Bereitschaft der Betriebe, Personen anzustellen, die von anderen Betrieben ausgebildet wurden, und erhöht somit die Mobilität der Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt.

Das Einhalten der Bildungspläne kann für die Lehrbetriebe Kosten verursachen.

Das Einhalten der Bildungspläne kann für die Lehrbetriebe Kosten verursachen. Falls die Ausbildungsverantwortlichen den Lernenden die erforderlichen Handlungskompetenzen direkt während des Produktionsprozesses im Betrieb vermitteln können, dürften sich diese Kosten in Grenzen halten; zum Beispiel, wenn die Ausbildnerin dem Fahrradmechaniker EFZ zeigt, wie man einen Service an einem Fahrrad durchführt. In anderen Fällen passen die in den Bildungsplänen definierten Handlungskompetenzen weniger gut zum Arbeits- und Produktionsprozess und damit zu den Arbeitssituationen im Lehrbetrieb. So müssen beispielsweise Fahrradmechanikerinnen und -mechaniker gemäss Bildungsplan auch im Umgang mit Elektrofahrrädern ausgebildet werden. Ist der Lehrbetrieb nicht in diesem Bereich tätig, bedeutet die Einhaltung des Bildungsplans einen Mehraufwand. Allenfalls ist es gar nötig, dass die Lernenden für Handlungskompetenzen, die im Lehrbetrieb nicht vermittelt werden können, externe Kurse besuchen.[1] Dies verursacht einerseits Kosten und mindert andererseits die Zeit, während derer die Lernenden produktiv im Betrieb eingesetzt werden können.

Umgekehrt kommt es auch vor, dass der Bildungsplan nicht alle im jeweiligen Lehrbetrieb benötigen Arbeits- und Produktionsschritte enthält. In diesem Fall können Betriebe ihren Lernenden Zusatzqualifikationen vermitteln, damit sie sie trotzdem in den entsprechenden Arbeitssituationen einsetzen können. In einem Veloladen könnten dies beispielsweise spezifische Fachkenntnisse zur Produktepalette sein (zum Beispiel zu Komponenten von bestimmten Fahrradtypen oder -marken). Der Betrieb profitiert anschliessend zwar davon, wenn die Lernenden aufgrund der erworbenen Handlungskompetenzen produktiver sind. Weil die entsprechenden Kompetenzen nicht im Bildungsplan enthalten sind, wird ihr Aufbau aber weder von der Berufsfachschule noch vom überbetrieblichen Kurs unterstützt. Das Vermitteln von Zusatzqualifikationen stellt somit für den Lehrbetrieb einen Mehraufwand dar, der zum Ausbildungsaufwand für die im Bildungsplan vorgesehenen Kompetenzen hinzukommt.

Ausgestaltung von Bildungsplänen

Die Überprüfung der Bildungspläne und deren Anpassung an die aktuellen Erfordernisse der Arbeitswelt obliegt jeweils der berufsspezifischen Kommission für Berufsentwicklung und Qualität (Kommission B&Q). Die darin vertretenen Verbundpartner (Vertreterinnen und -vertreter der Organisation der Arbeitswelt, Kantons- und Bundesvertreterinnen sowie Vertreter der Fachlehrerschaft) verfassen im Fünfjahresrhythmus einen Überprüfungsbericht mit Empfehlungen zum Handlungsbedarf. Diese Empfehlungen reichen von «kein Handlungsbedarf» über «Teilrevision von Bildungsverordnung und Bildungsplan» bis zu einer «Totalrevision von Bildungsverordnung und Bildungsplan». Die Überarbeitung obliegt dann der Trägerschaft der jeweiligen beruflichen Grundbildung, also der Organisation der Arbeitswelt. Die Kommission B&Q übernimmt die Funktion einer Steuergruppe.[2]

Definieren die Bildungspläne eher wenige Handlungskompetenzen, verringert sich zwar der Aufwand für die Lehrbetriebe, um diese auszubilden. Dafür dürfte es häufiger vorkommen, dass die Betriebe zusätzliche Kompetenzen ausbilden müssen, um sie optimal einsetzen zu können.

Bei der Ausgestaltung von Bildungsplänen besteht ein Trade-off (Zielkonflikt): Definieren die Bildungspläne eher wenige Handlungskompetenzen, verringert sich zwar der Aufwand für die Lehrbetriebe, um diese auszubilden. Dafür dürfte es häufiger vorkommen, dass die Betriebe zusätzliche Kompetenzen ausbilden müssen, um sie optimal einsetzen zu können. Die Lernenden laufen bei eher engen Qualifikationsprofilen zudem Gefahr, später auf dem Arbeitsmarkt keine passende Stelle ausserhalb ihres Lehrbetriebes zu finden. Diesen Zusammenhang haben Eggenberger, Rinawi und Backes-Gellner (2018) untersucht: Absolventinnen und Absolventen von Lehrberufen, die verglichen mit dem gesamten Arbeitsmarkt eher spezifische Kompetenzen vermitteln, erzielen im erlernten Beruf zwar relativ hohe Löhne, sind aber auf dem Arbeitsmarkt nur beschränkt mobil. Das kann sich zu einem späteren Zeitpunkt der Erwerbskarriere negativ auf den Lohn und die Beschäftigungschance auswirken. Passend hierzu finden Grønning, Kriesi und Sacchi (2020), dass mehr Arbeitstage pro Woche im Lehrbetrieb mit einem höheren Lohn direkt nach der Lehre zusammenhängen, dass aber eine höhere Anzahl Lektionen in Allgemeinbildendem Unterricht mit einem höheren Lohn zehn Jahre nach Lehrabschluss einhergeht.

Umfassen die Bildungspläne hingegen viele Handlungskompetenzen, verfügen die Lernenden zwar nach dem Abschluss über ein breites Qualifikationsprofil und dürften damit für verschiedene Arbeitgeber attraktiv sein. Zu breite Profile dürften es den Lernenden allerdings erschweren, alle Kompetenzen auf gutem Niveau aufzubauen. Die Lehrbetriebe sind dabei vermehrt gezwungen, Handlungskompetenzen zu vermitteln, die in ihren Arbeits- und Produktionsprozessen nicht vorkommen. Dies erhöht die Kosten für die Lehrbetriebe, weil mehr Zeit für die Ausbildung der Lernenden aufgewendet werden muss (allenfalls sogar im Rahmen von externen Kursen) und die Lernenden damit weniger für produktive Tätigkeiten im Betrieb zur Verfügung stehen. Beeinflusst dies das Kosten-Nutzen Verhältnis der Betriebe stark negativ, ist es gar denkbar, dass Betriebe aufgrund zu umfangreicher Bildungspläne die Ausbildung von Lernenden einstellen. Passend dazu zeigen Jansen, de Grip und Kriechel (2017), dass Betriebe in Deutschland ihre Nachfrage nach Lernenden erhöhen, wenn flexibel ausgestaltete Curricula es ihnen erlauben, die Ausbildungsinhalte an ihre Arbeits- und Produktionsprozesse anzupassen.

Wie passen die Kompetenzen in Bildungsplänen zu den Bedürfnissen der Betriebe?

Die Betriebe wurden unter anderem gefragt, wie hoch der Anteil der Ausbildungsinhalte im relevanten Bildungsplan ist, der in ihrem Betrieb nicht benötigt wird.

Mit Blick auf den oben dargestellten Zielkonflikt untersucht die vorliegende Studie[3] sowohl das Auftreten wie auch die Art und die Auswirkungen von Passungsproblemen zwischen Bildungsplänen und den Arbeits- und Produktionsprozessen in Lehrbetrieben. Dabei stützt sich die Studie auf die vierte Kosten-Nutzen-Erhebung zur beruflichen Grundbildung (Gehret et al. 2019). Im Rahmen dieser Erhebung wurden rund 5’700 Lehrbetriebe befragt. Für die vorliegenden Analysen wurden nur die 4’206 privaten, marktwirtschaftlichen Betriebe verwendet. Die Betriebe wurden unter anderem gefragt, wie hoch der Anteil der Ausbildungsinhalte im relevanten Bildungsplan ist, der in ihrem Betrieb nicht benötigt wird.[4] Weiter wurden sie gefragt, ob sie ihren Lernenden über den für sie relevanten Bildungsplan hinausgehende Zusatzqualifikationen vermitteln.[5] Tabelle 1 bietet eine Übersicht über diese zwei untersuchten Variablen und zeigt, wie sich die Einschätzungen der Betriebe je nach Betriebsmerkmalen unterscheiden.[6]

Tabelle 1: Betriebliche Merkmale und Passungsprobleme

    Anteil nicht benötigter Ausbildungsinhalte Anteil Betriebe, der Zusatzqualifikationen vermittelt
Mittelwert in der Stichprobe 0.170 0.109
Schätzwerte für marginale Effekte
Mitglied OdA -0.026*** 0.029**
Effiziente Produktionsprozesse -0.022** -0.013
Betroffen durch Digitalisierung -0.001 0.032**
10-49 Angestellte -0.006 -0.026
50-99 Angestellte -0.032** -0.004
100 oder mehr Angestellte -0.023* 0.018
       
Anzahl Beobachtungen 4’152 4’152
Bemerkungen: Gewichtete Resultate, nur gewinnorientierte Betriebe, */**/*** bezeichnen statistische Signifikanz auf dem 10%/5%/1%-Niveau. Alle Regressionen enthalten Kontrollvariablen für Betriebsmerkmale (Lehrberuf, Grossregion, Wirtschaftsbranche, Einschätzung der Nachfrage nach den eigenen Produkten und der eigenen Attraktivität für Fachkräfte) und Lernendenmerkmale (Anteile Frauen und erwachsener Lernenden im Lehrbetrieb; Anteil der Lernenden im Lehrbetrieb, die die Berufsmittelschule absolvieren; Anteil der Lernenden im Lehrbetrieb, die eine verkürzte Lehre absolvieren).

Lesebeispiel: Mitgliedsfirmen einer OdA schätzen den Anteil nicht benötigter Ausbildungsinhalte im Durchschnitt um 2,6 Prozentpunkte tiefer ein als vergleichbare Firmen, die nicht Mitglied einer OdA sind. OdA-Mitglieder weisen zudem eine um 2,9 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit auf, Zusatzqualifikationen zu vermitteln.

Gemäss Tabelle 1 schätzen die Lehrbetriebe, dass sie im Durchschnitt rund 17% der Ausbildungsinhalte im Bildungsplan nicht benötigen. Gleichzeitig vermitteln 10,9% der Betriebe ihren Lernenden Qualifikationen, die über die im Bildungsplan festgeschriebenen Inhalte hinausgehen. Zwischen den beiden untersuchten Variablen besteht keine signifikante Korrelation; das heisst, dass der Anteil der nicht benötigten Ausbildungsinhalte bei Betrieben, die ihren Lernenden Zusatzqualifikationen vermitteln und solchen, die das nicht tun, durchschnittlich etwa gleich gross ist.

Die weiteren Zeilen der Tabelle 1 zeigen, welche Betriebsmerkmale mit den beiden erhobenen Passungsproblemen zusammenhängen. Beim ersten Merkmal geht es darum, ob Betriebe, die Mitglied einer OdA sind, mehr oder weniger Passungsprobleme aufweisen als Betriebe, die nicht Mitglied sind. Dabei wurden mit Hilfe von Regressionsanalysen Betriebe verglichen, die gleich sind in Bezug auf Lehrberuf, Betriebsgrösse, Wirtschaftssektor und Grossregion sowie hinsichtlich des Anteils von weiblichen und erwachsenen Lernenden, Lernenden in einer verkürzten Ausbildung und Lernenden, die eine Berufsmaturität absolvieren (sogenannte Kontrollvariablen).[7] Dabei zeigt sich, dass eine Mitgliedschaft in einer Organisation der Arbeitswelt (OdA) mit einem kleineren Anteil nicht benötigter Ausbildungsinhalte einhergeht (siehe Spalte 1 bzw. Lesebeispiel unten an der Tabelle). Eine naheliegende Erklärung hierfür ist, dass OdA-Mitgliedsbetriebe via die Kommissionen für Berufsentwicklung und Qualität, die für Änderungen der Bildungspläne verantwortlich sind, die Auswahl der Ausbildungsinhalte direkt beeinflussen können. Denkbar ist aber auch, dass Betriebe, die einen höheren Qualifikationsbedarf aufweisen und mehr verschiedene Handlungskompetenzen benötigen, sich eher einer OdA anschliessen. Solch ein höherer Qualifikationsbedarf unter OdA-Mitgliedern würde auch erklären, warum diese ihren Lernenden relativ häufig darüberhinausgehende Zusatzqualifikationen vermitteln (Spalte 2). Weiter zeigt die Tabelle, dass Betriebe, welche die Effizienz ihrer Produktionsprozesse höher einschätzen, einen niedrigeren Anteil nicht benötigter Ausbildungsinhalte aufweisen. Schliesslich geben Betriebe, die ihre Arbeits- und Produktionsprozesse durch digitale Technologien stark verändert sehen, auch um 3,2 Prozentpunkte eher an, ihren Lernenden Zusatzqualifikationen zu vermitteln. Naheliegend ist die Erklärung, dass Handlungskompetenzen, die im Zusammenhang mit neuen digitalen Technologien stehen, erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung in die Bildungspläne eingehen. Benötigen Betriebe diese Handlungskompetenzen aber in ihren Arbeits- und Produktionsprozessen, vermitteln sie diese ihren Lernenden teilweise trotzdem. Tatsächlich haben einige Betriebe in einer offenen Frage nach der Art der vermittelten Zusatzqualifikationen explizit digitale Kompetenzen genannt. Andere häufig genannte Zusatzqualifikationen betreffen den Umgang mit Kunden, externen Ansprechpersonen oder Patientinnen, Sozialkompetenzen, Projektleitungsfähigkeiten, Sicherheitsaspekte und interne Weiterbildungen. Schliesslich zeigt sich, dass grössere Betriebe ab 50 Mitarbeitenden den Anteil der nicht benötigten Ausbildungsinhalte als kleiner einschätzen.

Abbildung 1: Alter der Bildungspläne und Passungsprobleme

Eine Mitgliedschaft in einer Organisation der Arbeitswelt (OdA) geht einher mit einem kleineren Anteil nicht benötigter Ausbildungsinhalte einher.

Neben den betrieblichen Merkmalen dürfte auch das Alter der jeweiligen Bildungspläne einen Einfluss auf die Passung zwischen vorgeschriebenen Inhalten und Qualifikationsbedürfnissen der Lehrbetriebe ausüben. Kürzlich revidierte Bildungspläne berücksichtigen neuere Produktionsverfahren und technologische Entwicklungen. Die Betriebe sollten daher weniger Notwendigkeit für zusätzliche Ausbildungsinhalte sehen, hingegen könnte der neue Bildungsplan neue Inhalte vorsehen, die noch nicht alle Betriebe benötigen. Mit zunehmendem Alter des Bildungsplans ist zu erwarten, dass mehr Betriebe diese Inhalte benötigen, dafür steigt der Bedarf für zusätzliche Qualifikationen. Abbildung 1 zeigt den Zusammenhang zwischen Alter des Bildungsplans und den zwei Passungsproblemen, die helleren Farbflächen zeigen die jeweiligen 95%-Konfidenzintervalle. Die gezeigten Zusammenhänge basieren auf zwei Regressionsmodellen, in denen das Alter des jeweiligen Bildungsplans anstelle des Lehrberufs als unabhängige Variable verwendet wurde (die übrigen unabhängigen Variablen sind gleich wie in Tabelle 1). Erwartungsgemäss sinkt mit dem Alter des Bildungsplans der Anteil nicht benötigter Inhalte, während häufiger Zusatzqualifikationen vermittelt werden.

Passungsprobleme und Ausbildungskosten

Wie bereits dargelegt, ist zu vermuten, dass sich die Passung zwischen den im Bildungsplan festgelegten und den im Arbeits- und Produktionsprozess eines Betriebes benötigten Handlungskompetenzen auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Ausbildung auswirkt.

Für das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist besonders der Nettonutzen bedeutsam, der sich als Differenz aus den Ausbildungskosten (Bruttokosten) und dem produktiven Beitrag der Lernenden ergibt. Bruttokosten entstehen vor allem durch die Lohnkosten für die Lernenden und Lohnkosten für Mitarbeitende, welche die Betreuung und Ausbildung der Lernenden sowie die Rekrutierung und administrativen Arbeiten rund um die Ausbildung wahrnehmen. Hinzu kommen in geringerem Ausmass Material- und Anlagekosten. Diesen Kosten stehen produktive Leistungen gegenüber, welche die Lernenden für ihren Lehrbetrieb erbringen. Die genaue Berechnungsweise dieser Kosten- und Nutzenelemente wird hier aus Platzgründen nicht dargestellt; sie findet sich aber im Bericht von Gehret et al. (2019). Sie weisen für das Ausbildungsjahr 2016/17 durchschnittlich gut 28’000 CHF Bruttokosten und etwas über 31’000 CHF produktive Leistungen pro Lehrjahr aus, wodurch einem Lehrbetrieb ein jährlicher Nettonutzen von gut 3’000 CHF entstand. Dabei gilt es zu beachten, dass sich die Kosten und Nutzen je nach Lehrberuf sehr stark unterscheiden. Während einige Berufe wie Malerin oder Sanitärinstallateur über die gesamte Lehrdauer einen Nettonutzen von über 20’000 CHF aufweisen, schlagen Informatikerin oder Polymechaniker mit Nettokosten von rund 20’000 CHF zu Buche. Andere Berufe wie Fachfrau Gesundheit oder Küchenangestellter liegen nahe Null.[8]

Pro zehn Prozentpunkten an nicht benötigten Ausbildungsinhalten liegt der Nettonutzen pro Lehrjahr um ungefähr 630 Franken tiefer.

Tabelle 2 stellt mit Hilfe von multivariaten Analysen den Zusammenhang von Passungsproblemen und Ausbildungskosten (unter Berücksichtigung von Betriebs- und Lernendenmerkmalen) dar. Demnach erzielen Betriebe, die den Anteil der nicht benötigten Ausbildungsinhalte höher einschätzen, einen tieferen durchschnittlichen Nettonutzen als ansonsten ähnliche Betriebe. Konkret: pro zehn Prozentpunkten an nicht benötigten Ausbildungsinhalten liegt der Nettonutzen pro Lehrjahr (letzte Spalte) um ungefähr 630 Franken tiefer. Weiter zeigt sich in Tabelle 2, dass der geringere Nettonutzen sowohl auf höhere Bruttokosten (z.B. für zusätzliches Ausbildungsmaterial oder Kurse) wie auch tiefere produktive Leistungen der Lernenden zurückgeht.

Tabelle 2: Passungsprobleme und betriebliche Kosten-Nutzen der Ausbildung

  Bruttokosten (CHF) Produktive Leistungen (CHF) Nettonutzen (CHF)
Anteil nicht benötigter Ausbildungsinhalte 3’198*** -3’057*** -6’255***
Anteil vermittelt Zusatzqualifikationen 812 -1’325*** -2’137***
       
Anzahl Beobachtungen 4’152 4’152 4’152
Bemerkungen: Gewichtete Resultate, nur gewinnorientierte Betriebe, */**/*** bezeichnen statistische Signifikanz auf dem 10%/5%/1%-Niveau. Alle Regressionen enthalten Kontrollvariablen für Betriebsmerkmale (Lehrberuf; Grossregion; Wirtschaftsbranche; Betriebsgrösse, Einschätzung der Nachfrage nach den eigenen Produkten und der eigenen Attraktivität für Fachkräfte; sowie alle in Tabelle 1 aufgeführten Merkmale) und Lernendenmerkmale (Anteil Frauen und erwachsener Lernenden im Lehrbetrieb; Anteil der Lernenden im Lehrbetrieb, die die Berufsmittelschule absolvieren; Anteil der Lernenden im Lehrbetrieb, die eine verkürzte Lehre absolvieren).
Lesebeispiel: Betriebe, die den Anteil der nicht benötigten Ausbildungsinhalte um 10 Prozentpunkte höher einschätzen, weisen rund 320 CHF (der Schätzwert von 3’198 CHF gilt für eine Veränderung um 100 Prozentpunkte) höhere Bruttokosten auf (signifikant auf dem 1%-Niveau). Betriebe, die Zusatzqualifikationen vermitteln, weisen 812 CHF höhere Bruttokosten auf (nicht signifikant von null verschieden).

Auch die zweite untersuchte Variable unterstreicht den Zusammenhang zwischen der Passung der Bildungspläne für die Betriebe und deren Kosten-Nutzen-Verhältnis während der Ausbildung. Betriebe, die ihren Lernenden Zusatzqualifikationen vermitteln, weisen im Durchschnitt einen tieferen Nettonutzen aus als ähnliche Betriebe, die das nicht tun. Dieses Resultat wird wesentlich von geringeren produktiven Leistungen der Lernenden getrieben, wogegen die Bruttokosten nicht signifikant höher sind. Offenbar erfordert das Vermitteln von Zusatzqualifikationen Übungszeit, welche zulasten der produktiven Zeiten der Lernenden im Betrieb geht.

Die Resultate in Tabelle 2 passen zur Hypothese, dass Passungsprobleme zwischen Bildungsplan und den Qualifikationsbedürfnissen der Lehrbetriebe die Ausbildungskosten erhöhen, das heisst den Nettonutzen für die Betriebe senken.

Fazit

Grössere Betriebe, Mitglieder einer OdA und Betriebe mit überdurchschnittlich effizienten Prozessen geben eher an, dass sie die im Bildungsplan definierten Kompetenzen benötigen.

Es gibt ausgeprägte Unterschiede darin, wie gut die Kompetenzen, die in den Bildungsplänen formuliert werden, zu den Kompetenzen passen, welche die Lehrbetriebe für ihre Lernenden und Fachkräfte in ihren Produktionsprozessen benötigen. Grössere Betriebe, Mitglieder einer OdA und Betriebe mit überdurchschnittlich effizienten Prozessen geben eher an, dass sie die im Bildungsplan definierten Kompetenzen benötigen. Mitglieder einer OdA und von der Digitalisierung stark betroffene Betriebe geben eher an, dass sie ihren Lernenden darüber hinaus weitere Qualifikationen vermitteln. Die Passung hängt aber nicht nur von Betriebsmerkmalen ab, auch das Alter eines Bildungsplans spielt eine Rolle. Bei neueren Bildungsplänen vermitteln weniger Lehrbetriebe zusätzliche Qualifikationen, dafür geben die Lehrbetriebe vermehrt an, dass sie (noch) nicht alle festgelegten Kompetenzen benötigen.

Die Passung von Bildungsplan und betrieblichen benötigten Kompetenzen hängt auch mit den Ausbildungskosten zusammen. Beide Passungsprobleme, nicht benötigte Kompetenzen oder zusätzlich ausgebildete Qualifikationen, erhöhen die Bruttokosten der Ausbildung und senken den produktiven Beitrag der Lernenden. Die Schätzungen aus Tabelle 2 lassen sich auch dazu verwenden, die Gesamtkosten zu berechnen, die den privaten Lehrbetrieben in der Schweiz durch die Passungsprobleme entstehen. Die Mehrkosten für das Ausbilden nicht benötigter Kompetenzen belaufen sich demnach auf insgesamt rund 42 Millionen CHF, während die Kosten für Zusatzqualifikationen rund 11 Millionen CHF betragen. Diese Beträge erscheinen eher gering im Verhältnis beispielsweise zu den gesamten Bruttokosten von 4,3 Milliarden CHF, welche die privatwirtschaftlichen Lehrbetriebe in der Schweiz pro Jahr für die Ausbildung tragen. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass die Kosten für nicht benötigte Kompetenzen jene für Zusatzqualifikationen deutlich überwiegen.

Diese extrapolierten Kosten stellt zwar nur eine grobe Schätzung dar, deuten aber darauf hin, dass die Bildungspläne den Lehrbetrieben zumeist mehr beziehungsweise breitere Kompetenzen auferlegen, als diese bei der Ausbildung selbst wählen würden. Dies passt zur Idee, dass Bildungspläne insbesondere auch gewährleisten sollen, dass Lernende genügend breit ausgebildet sind, damit sie nach der Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt für eine breite Palette von Stellen qualifiziert sind. Gleichzeitig zeigen diese Resultate, dass breitere Bildungspläne mit Kosten für die Lehrbetriebe verbunden sind. Sehr breite Kompetenzprofile, wie sie zum Beispiel durch eine deutliche Reduktion der Anzahl Lehrberufe entstehen würden, könnten für die Lehrbetriebe daher beträchtliche Kosten bedeuten und die Ausbildungsbereitschaft verringern. Bei der Definition von Berufen und Berufsprofilen durch die Akteure der Berufsbildung kommt es somit darauf an, eine optimale Balance zu finden zwischen den Ansprüchen der Lernenden beziehungsweise späteren Fachkräfte einerseits und den Ansprüchen der Lehrbetriebe andererseits.

[1] Auch die Berufsfachschulen und die überbetrieblichen Kurse tragen zum Aufbau der Handlungskompetenzen bei. Dennoch sehen die Bildungspläne viele Handlungskompetenzen vor, die mindestens teilweise in den Betrieben erlernt werden sollen.
[2] Details siehe Hinweise des SBFI zur 5-Jahres-Überprüfung.
[3] Der originale Forschungsartikel erschien vor Kurzem in der der Zeitschrift Empirical Research in Vocational Education and Training.
[4] Frage im Fragebogen: Wie hoch schätzen Sie den Anteil, der im offiziellen Bildungsplan des SBFI für den ausgewählten Beruf festgelegten, aber in Ihrem Betrieb nicht benötigten Ausbildungsinhalte?
[5] Wurden in Ihrem Betrieb im Ausbildungsjahr 2016/17 Zusatzqualifikationen vermittelt, die über die im offiziellen Bildungsplan des SBFI für den ausgewählten Beruf festgelegten Inhalte hinausgehen?
[6] Die vierten Kosten-Nutzen Studie zur beruflichen Grundbildung (Gehret et al. 2019) weist in Tabelle 15 den durchschnittlichen Anteil nicht benötigter Ausbildungsaushalte je Lehrberuf aus.
[7] Der Vergleich möglichst ähnlicher Betriebe dient dazu, die Wirkung der betrachteten Variablen (z.B. Mitgliedschaft in OdA) zu isolieren. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Lehrbetriebe in weiteren relevanten Merkmalen unterscheiden, die nicht in die Analyse einbezogen werden konnten und die Zusammenhänge zwischen den abhängigen und unabhängigen Variablen beeinflussen.
[8] Detaillierte Resultate nach Lehrdauer und Berufen finden sich in Kapitel 4 von Gehret et al. (2019).

Literatur

  • Eggenberger, C., Rinawi, M. und Backes-Gellner, U. (2018). Occupational specificity: A new measurement based on training curricula and its effect on labor market outcomes. Labour Economics, 51, 97-107.
  • Gehret A., Aepli, M., Kuhn, A. und Schweri, J. (2019). Lohnt sich die Lehrlingsausbildung für die Betriebe? Resultate der vierten Kosten-Nutzen-Erhebung. Schweizerisches Observatorium für die Berufsbildung OBS EHB.
  • Jansen, A., de Grip, A. und Kriechel, B. (2017). The effect of choice options in training curricula on the demand for and supply of apprentices. Economics of Education Review, 57, 52-65.
  • Grønning, M., Kriesi, I. und Sacchi, S. (2020). Income during the early career: Do institutional characteristics of training occupations matter? Research in Social Stratification and Mobility, 67, 100495. Zu finden auch in: Kriesi & Miriam Grønning, 2021: Wieviel Allgemeinbildung braucht die Berufsbildung?: Heterogenität in der Berufsbildung und ihre Auswirkung auf den Berufsverlauf. Transfer, Berufsbildung in Forschung und Praxis (2/2021), SGAB, Schweizerische Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung.
  • Schweri, J., Aepli, M., und Kuhn, A. (2021). The costs of standardized apprenticeship curricula for training firms. Empirical Research in Vocational Education and Training, 13:16.

Zitiervorschlag

Aepli, M., Schweri, J., & Kuhn, A. (2021). Bildungspläne sichern breite Ausbildung – verursachen aber auch Kosten für die Lehrbetriebe. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 6(3).

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