Berufsbildung in Forschung und Praxis
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EHB-Studien

Fachkräftebedarf und Rekrutierung von Lehrpersonen für die Berufsbildung

Lehrpersonen der beruflichen Grundbildung sind wichtige Fachkräfte, die mit ihrem Unterricht zentral zur Qualität des Berufsbildungssystems beitragen. Auch in Zukunft ist es wichtig, motivierte Personen für den Lehrberuf zu gewinnen – und dies in genügender Anzahl. Prognosen des Bundesamts für Statistik über die demographische Entwicklung in der Schweiz sowie über den Lehrkräftebedarf geben Aufschluss darüber, wie sich der Bedarf in Zukunft entwickeln könnte. Präzise Prognosen sind allerdings nicht möglich.


Die Bestände der Lernenden in der beruflichen Grundbildung können zwischen 2015-2025 über mindestens 7% zunehmen (ZH, VD, TI, FR, ZG, BS, BL und GE) oder auch mindestens 7% abnehmen (NW, UR, AR, GR, SZ).

Das Bundesamt für Statistik (BFS) aktualisiert jedes Jahr Szenarien zur Entwicklung der Lernenden in der beruflichen Grundbildung. Aktuell liegen die Szenarien für die Zeitspanne zwischen 2016 und 2025 vor. Die zukünftige Anzahl der Lernenden in der beruflichen Grundbildung wird durch viele Faktoren beeinflusst, so beispielsweise durch die Anzahl Abgängerinnen und Abgänger der vorhergehenden Sekundarstufe I, durch konjunkturelle Effekte, die die Anzahl der Lehrstellen beeinflussen, Bildungsreformen oder durch die Dauer des Übergangs von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II. Der wichtigste Einfluss auf die Vorhersage ist die Anzahl der Abgehenden der Sekundarstufe I. Da seit 2004 in der Schweiz wieder eine Geburtenzunahme zu verzeichnen ist, wirkt sich diese Jahre später auch auf eine Zunahme der Lernendenbestände in der beruflichen Grundbildung aus.

Das Referenzszenario, das als das plausibelste gilt, prognostiziert für die gesamte Schweiz einen Rückgang der Lernenden in der beruflichen Grundbildung bis 2018 und daraufhin einen erneuten Anstieg bis 2025 (Grafik 1).

Grafik 1: Lernende und Abschlüsse der beruflichen Grundbildung: beobachtete und erwartete Entwicklung. Quelle: BFS 2017

Die Prognose verweist aber auch auf ausgeprägte kantonale Unterschiede, die hauptsächlich durch die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung entstehen. So können die Bestände der Lernenden in der beruflichen Grundbildung zwischen 2015-2025 über mindestens 7% zunehmen (ZH, VD, TI, FR, ZG, BS, BL und GE) oder auch mindestens 7% abnehmen (NW, UR, AR, GR, SZ).

Weiter wird für die ganze Schweiz eine Verschiebung zwischen den Bildungsfeldern prognostiziert (Grafik 2). So wird erwartet, dass es insbesondere in den Bildungsfeldern Sozialwesen, Informatik- und Kommunikationstechnologien, Gesundheit und Wirtschaft und Verwaltung zukünftig mehr Lernende geben wird. Im verarbeitenden Gewerbe wird mit einem Rückgang der Lernenden gerechnet. Auch diese Verschiebungen zeigen sich in den einzelnen Kantonen aufgrund ihrer heterogenen Bevölkerungsentwicklung unterschiedlich.

Grafik 2: Lernende und Abschluss der beruflichen Grundbildung: erwartete Entwicklung nach Bildungsfeld. Quelle: BFS 2017

Fachkräftebedarf von Lehrkräften

Es ist schwierig vorauszusehen, wie sich die Fluktuation (u.a. Pensionierungen) von Lehrkräften auf den Bedarf an neuem Personal auswirkt.

Das BFS formulierte 2013 erstmals eine Prognose für die zukünftige Anzahl der Lehrpersonen in der beruflichen Grundbildung (inkl. Berufsmaturität); diese wurde seither allerdings nicht mehr erneuert. Der zukünftige Bedarf für Lehrpersonen in der beruflichen Grundbildung wird primär durch folgende Faktoren beeinflusst: Veränderung des Lernendenbestands (demographische Entwicklung und Verschiebung zwischen den Berufsfeldern), Fluktuation der Lehrpersonen (inkl. Pensionierung) sowie durch Entscheide hinsichtlich des Ersatzes von Lehrpersonen.

Das BFS ging 2013 davon aus, dass die Pensionierungen der Lehrkräfte der beruflichen Grundbildung gegen 2017 den Höchststand erreichen und dann ungefähr gleich bleiben würden. Allerdings wurden auch hier regionale Unterschiede prognostiziert, für den Kanton Tessin etwa ein kontinuierlicher Anstieg der Pensionierungen bis 2022.

Es ist schwierig vorauszusehen, wie sich die Fluktuation (u.a. Pensionierungen) von Lehrkräften auf den Bedarf an neuem Personal auswirkt. Es ist davon auszugehen, dass das Gesamtpensum der Lehrkräfte in einem nicht deckungsgleichen, unelastischen Verhältnis zum Schülerbestand steht. Für die Schweiz rechnet das Bundesamt für Statistik mit einem Elastizitätswert von 0.5. Das heisst, dass eine Zunahme/ Abnahme des Schülerbestands um 10% zu einer Zunahme/ Abnahme des Gesamtpensums des Lehrpersonals von nur 5% führt, da die Betreuungsquote variieren kann. Die Elastizitätswerte können in verschiedenen Kantonen deutlich von 0.5 abweichen, je nachdem, ob etwa Vorgaben für die Anzahl Schülerinnen und Schüler pro Klasse bestehen, Bildungsreformen durchgeführt werden oder finanzielle Einschränkungen bestehen.

Das BFS prognostizierte die Entwicklung des Bedarfs an neuen Lehrkräften für die Sekundärstufe II (Grafik 3). Auch hier gilt, dass kantonal unterschiedliche Entwicklungen zu erwarten sind.

Grafik 3: Lehrkräfte der Sekundarstufe II: Entwicklung des Bedarfs an neuen Lehrkräften – Szenario «Referenz». Quelle: BFS 2013

Rekrutierungspraxis der Berufsfachschulen

Es scheint sich daher beim Stellenmarkt für neue Lehrpersonen in der beruflichen Grundbildung um einen informellen und wenig transparenten Rekrutierungsmarkt zu handeln.

Aufgrund steigender Lernendenbestände sowie Verschiebungen zwischen den Bildungsfeldern wird die Rekrutierungspraxis der Berufsfachschulen auch in Zukunft ein wichtiges Thema sein. Das EHB hat im Rahmen von zwei Studien Personen befragt, die eine Ausbildung zur Lehrperson in der Berufsbildung absolvieren. Untersucht wurden Gründe für die Berufswahl sowie der Zusammenhang zwischen der Motivation, Lehrperson zu werden, und der Unterrichtsqualität. Es wurden 483 Lehrkräfte in der Deutschschweiz und der Romandie befragt. Es waren Mehrfachantworten möglich. Die Ergebnisse:

  • 42 Prozent gaben an, dass sie von einer Berufsfachschule kontaktiert wurden.
  • 35 Prozent gaben an, dass das Interesse für die Lehrtätigkeit von ihnen selbst ausging.
  • 18 Prozent gaben an, über ein Stelleninserat zu ihrer Tätigkeit gekommen zu sein.
  • 13 Prozent gaben an, dass ihr Arbeitgeber sie angefragt hatte.
  • 9 Prozent wurden von einem Berufsverband kontaktiert.
  • 2 Prozent wurden durch die Berufsberatung auf den Beruf aufmerksam gemacht.

Insgesamt fällt auf, dass ein Grossteil der Befragten den Zugang zum Lehrberuf über ihr soziales Netzwerk fand und von einer Berufsfachschule, einem Betrieb oder einem Berufsverband angefragt wurde. Nur etwa jeder fünfte hat sich auf ein Stelleninserat beworben, was ein sehr spezifisches, von der Primarstufe, Sekundarstufe I und Gymnasialstufe abweichendes Rekrutierungsprofil zeigt. Es scheint sich daher beim Stellenmarkt für neue Lehrpersonen in der beruflichen Grundbildung um einen informellen und wenig transparenten Rekrutierungsmarkt zu handeln.

Motivation führt zu Qualität

Um herauszufinden, ob und wie sich Berufswahlmotive wie intrinsischer Wert, gesellschaftlicher Nutzen, persönlicher Nutzen, Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen als Lehrperson oder Gelegenheitsorientierung auf die Unterrichtsqualität auswirken, wurden verschiedene Aspekte untersucht, die die Unterrichtsqualität abbilden (z.B. Unterrichtspraktiken, Verantwortungsgefühl der Lehrpersonen, etwa für den schulischen Erfolg der Berufslernenden). Die Befragung einer Stichprobe von 154 Lehrpersonen zeigt, dass zwei Motive, nämlich der gesellschaftliche Nutzen (mit Jugendlichen arbeiten, Nachwuchs ausbilden) und der intrinsische Wert des Lehrberufs (Interesse und Begeisterung für die Unterrichtstätigkeit) einen positiven Einfluss auf die Unterrichtsqualität haben.

Je mehr eine Lehrperson die gesellschaftliche Bedeutung ihres Berufs in den Vordergrund stellt, desto mehr fühlt sie sich persönlich für eine gute Beziehung zu den Lernenden verantwortlich und desto mehr liegen ihr deren schulischer Erfolg und deren Lernmotivation am Herzen. Darüber hinaus begünstigt diese soziale Motivation Unterrichtspraktiken, die auf die Selbständigkeit der Lernenden und die Steuerung des Unterrichts abzielen. Mit anderen Worten: Die Klassenführung und die Beziehung zu den Lernenden haben für diese Lehrpersonen einen hohen Stellenwert. Wichtiger noch als der gesellschaftliche ist der intrinsische Wert, den die Lehrpersonen ihrem Beruf beimessen. Je höher sie diesen gewichten, desto mehr fühlen sie sich für die Unterrichtsqualität verantwortlich. Sie setzen Unterrichtspraktiken ein, die sich günstig auf die Lernenden auswirken. Das können etwa Unterrichtsformen sein, die die Lernenden zur Selbständigkeit anleiten oder ihnen einen Rahmen vorgeben, der die Erwartungen an sie klar definiert. Ungeeignete Unterrichtspraktiken wie etwa Zwang oder Nichteingehen auf das Verhalten und die Äusserungen der Lernenden sind bei diesen Lehrpersonen seltener anzutreffen.

Dies zeigt, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Motivation für den Lehrberuf und der Unterrichtsqualität besteht. Wir stehen mit unseren Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Motivation und Unterrichtsqualität aber noch ganz am Anfang.

Schlussfolgerungen

Der zukünftige Bedarf an Lehrpersonen für die berufliche Grundbildung lässt sich nicht exakt prognostizieren, da zu viele unbekannte Faktoren die Zahlen beeinflussen können. Es lassen sich aber plausible Tendenzen (demographische Entwicklung, Verschiebung zwischen den Bildungsfeldern) identifizieren, die dazu anregen, sich über mögliche Entwicklungen und Reaktionen Gedanken zu machen. Dabei könnte insbesondere das Rekrutierungsverhalten der Berufsfachschulen von Interesse sein. So ist es denkbar, dass ein stärkerer Fokus auf formale Stellenausschreibungen zu einer grösseren Auswahl an geeigneten Lehrpersonen führen könnte, die über diejenigen Motivationen verfügen, die für die Unterrichtsqualität förderlich sind.

Die gemäss unseren Erkenntnissen wichtigsten Faktoren für die Zufriedenheit und das Engagement von Berufsfachschullehrpersonen (intrinsischer Wert, Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen als Lehrperson, gesellschaftlicher Nutzen) könnten genutzt werden, um mehr Personen für die Lehrtätigkeit in der Berufsbildung zu gewinnen. Denkbar wäre etwa eine öffentliche Kampagne, ähnlich wie die nationalen Kampagnen berufsbildungplus.ch zur Talentförderung in der Berufsbildung oder aktuell zur höheren Berufsbildung. Diese könnte darauf abzielen, die mitunter unsichtbare Tätigkeit von Lehrpersonen in der Berufsbildung und deren positiven Aspekte besser bekannt zu machen. Der Zusammenhang zwischen der Motivation und der Qualität im Berufsfachschulunterricht legt den Schluss nahe, dass gewisse Berufswahlmotive bei der Rekrutierung künftiger Lehrpersonen stärker zu gewichten sind als andere.

Weiterführende Literatur

  • Das Bundesamt für Statistik präsentiert online Prognosen zu den einzelnen Kantonen bzgl. der Anzahl der Lernenden in der beruflichen Grundbildung, aufgeschlüsselt nach Bildungsfeldern, sowie zum kantonalen Bedarf der Lehrpersonen in der beruflichen Grundbildung.
  • Szenarien 2016-2025 für die Sekundarstufe II – Lernende und Abschlüsse
  • Szenarien 2013-2022 für die Sekundarstufe II
  • Berger, J.-L., & D’Ascoli, Y. (2012). Motivations to become Vocational Education and Training educator: A Person-oriented approach. Vocations & Learning, 5, 225-249.
  • Bundesamt für Statistik (2017): Bildungsperspektiven. Szenarien 2016-2025 für das Bildungssystem. Neuchâtel: BFS.
  • Bundesamt für Statistik (2013): Bildungsperspektiven. Szenarien 2013-2022 für das Bildungssystem. Neuchâtel: BFS.
  • Girardet, C., & Berger, J.-L. (2016). Motivation, sentiment de responsabilité et styles de gestion de classe. Formation et pratiques d’enseignement en question, 21, 287-309.
Zitiervorschlag

Berger, J., & Baumeler, C. (2017). Fachkräftebedarf und Rekrutierung von Lehrpersonen für die Berufsbildung. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 2(3).

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