Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Frühe Sprachförderung in Kindertagesstätten

Ohne weitere Professionalisierung geht es nicht

Der Besuch eines Bildungsangebots hat positive Auswirkungen auf den Erwerb der Bildungssprache von Kleinkindern. Um in den täglichen Begegnungen und Aktivitäten reichhaltige und kindgerechte Interaktionen zu schaffen, bedarf es aber einer stärkeren Professionalisierung des gesamten pädagogischen Personals. Dies empfiehlt eine im Auftrag des SBFI erstellte Studie. Sie zeigt zudem, dass die frühe Sprachförderung von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich ist: Während einige Kantone und Gemeinden eine Reihe von Programmen und Strukturen eingeführt haben, diskutieren viele andere über geeignete Ansätze und Pilotprojekte.


Mit Unterstützung von Franziska Vogt (PH St.Gallen) und Susanne Stern (Beratungsbüro Infras).

Eine in den Alltag integrierte Sprachförderung führt zu längeren Interaktionen und damit zu besseren Ergebnissen als separate Programme, die in Form von Lektionen/Workshops mit vordefinierten Inhalten angeboten werden.

Die frühe Sprachförderung ist Teil der politischen Debatten über die Integration fremdsprachiger Kinder und die Erhöhung der Chancengleichheit im Bildungsbereich. Eine parlamentarische Motion (Eymann 18.3834), die 2018 eingereicht wurde, forderte die Durchführung einer Studie zu den Herausforderungen einer solchen Frühförderung. Diese Studie liegt nun vor.[1] Sie stützt sich auf internationale Forschungsergebnisse und enthält eine Bestandsaufnahme der Situation in der Schweiz; dafür integriert sie statistische Analysen und erfasst die kantonale Praxis der frühen Sprachförderung. Sie nimmt dabei auch die Berufsbildung in den Blick.

Die Ergebnisse der im Juni 2022 veröffentlichten Arbeit zeigen, dass die Sprachentwicklung von Kindern durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Zwei davon werden besonders hervorgehoben, nämlich das familiäre Umfeld und die familienergänzenden Betreuungseinrichtungen. Der Grund: Eine in den Alltag integrierte Sprachförderung führt zu längeren Interaktionen und damit zu besseren Ergebnissen als separate Programme, die in Form von Lektionen/Workshops mit vordefinierten Inhalten angeboten werden. Darüber hinaus ermöglichen Angebote, die für alle Kinder zugänglich sind, die Aufwertung der sprachlichen Vielfalt (Familiensprachen und Lokalsprache) und fördern so den gleichzeitigen kindlichen Erwerb mehrerer Sprachen. Ausgehend von diesen Erkenntnissen geht die Studie davon aus, dass die frühe Sprachförderung ein integraler Bestandteil der frühkindlichen Bildung ist. In dieser Formulierung steckt ein Paradigmenwechsel. Er verlangt das Recht auf Bildung von frühester Kindheit an. Alle Kinder sollen in der Nähe ihres Wohnortes einen kostenlosen oder kostengünstigen Zugang zu frühkindlichen Bildungsangeboten erhalten.

Die Bedeutung der Berufsbildung für die frühe Sprachförderung

Eine alltagsintegrierte Sprachförderung setzt hohe Kompetenzen des pädagogischen Personals voraus. Es muss geeignete Strategien beherrschen, die die Sprachentwicklung des Kindes ermöglichen. Dies kann durch die Aus- und Weiterbildung des Erziehungspersonals sowie durch die Optimierung der Angebote sichergestellt werden. In der Schweiz sind die beruflichen Bildungen im Bereich der frühkindlichen Bildung auf der Stufe der beruflichen Grundbildung (EFZ) und der Höheren Berufsbildung (Höhere Fachschulen) angesiedelt.

  • Im Bildungsplan Fachfrau/Fachmann Betreuung EFZ bezieht sich eine der Querschnittskompetenzen auf die Kommunikation; diese sei gezielt «zur entwicklungs- und alltagsgerechten Sprachförderung der betreuten Person» zu nutzen. (SavoirSocial, 2020, S. 16). Diese Querschnittskompetenz bezieht sich aber nicht speziell auf Kleinkinder, sondern auf eine Vielfalt möglicher Adressaten – Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen. Der Bildungsplan spricht von einer «wertschätzenden» Kommunikation und der Wahl einer «Kommunikationsebene, auf welcher sich beide Gesprächsparteien verständlich machen können»; auf die Entwicklung oder Unterstützung des frühen Spracherwerbs geht er nicht ausdrücklich ein.
  • Im Rahmenlehrplan der Ausbildung « Kindheitspädagoge*in HF» werden die Problematik der frühen Sprachentwicklung oder gar die Herausforderungen der Sprachentwicklung insgesamt nicht explizit erwähnt (SavoirSocial & SPAS, 2021). Diese sind nur implizit in mehrere allgemeine Prozesse, aus denen sich das Berufsfeld zusammensetzt, und in die damit verbundenen Kompetenzen eingebunden: die Unterstützung der Entwicklung des Kindes in seiner Gesamtheit, die Beobachtung und Dokumentation der Entwicklung und des Lernens der Kinder, die Erarbeitung und Umsetzung pädagogischer Konzepte in die Praxis sowie die Zusammenarbeit mit den Familien.

Das Fehlen oder der Mangel an ausgebildeten pädagogischen Fachkräften in bestimmten Kontexten ist sehr problematisch und verhindert die Förderung der Chancengleichheit.

Eine bereits früher von SavoirSocial in Auftrag gegebene Studie hat einen erhöhten Professionalisierungsbedarf sowie Lücken in Bezug auf die alltagsintegrierte Sprachförderung, die Sprachentwicklung sowie Schwierigkeiten bei der Umsetzung und dem Umgang mit Mehrsprachigkeit identifiziert (Dubach et al., 2018). Das Ausbildungsniveau des pädagogischen Personals variiert allerdings stark je nach kantonalen Anforderungen und Art der Betreuungseinrichtung (mit erweiterten/beschränkten Öffnungszeiten). Einige Kantone und Gemeinden vor allem in der Deutschschweiz bemühen sich, die frühe Sprachförderung im Rahmen von zeitlich beschränkten Betreuungsangeboten vom Typ Spielgruppe umzusetzen. Die Leiterinnen dieser Gruppen benötigen eine Aus- und Weiterbildung sowie Begleitung, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Entsprechende Vorgaben fehlen jedoch häufig. Auch in einigen Einrichtungen mit erweitertem Betreuungsangebot verfügt bis zur Hälfte der dort tätigen Personen über keine pädagogische Qualifikation. Das Fehlen oder der Mangel an ausgebildeten pädagogischen Fachkräften in bestimmten Kontexten ist sehr problematisch und verhindert die Förderung der Chancengleichheit. Für eine kindgerechte frühe Sprachförderung sind der systematische Einsatz von ausgebildetem Personal, die Stärkung bestehender Berufsbildungen wie Fachfrau/Fachmann Betreuung (EFZ) oder dipl. Kindheitspädagoge*in HF sowie die Integration von Aspekten der Sprachentwicklung und frühen Sprachförderung in die Ausbildungsgänge aber von besonderer Bedeutung.

Die in der Studie erfassten Forschungsarbeiten zeigen, dass wirksame Weiterbildungen zur praxisnahen Entwicklung von Strategien beitragen, die direkt vor Ort anwendbar sind. So zeigen reflexive Ansätze wie Videoanalysen oder Coaching positive Wirkungen. Ebenso sollten Strategien zur frühen Sprachförderung, Kenntnisse über das Erlernen mehrerer Sprachen sowie der Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Ausbildungsinitiativen, die sich speziell auf für die Sprachförderung zuständige Personen konzentrieren, sind laut Studien weniger effektiv; dies unterstreicht die Bedeutung der Grundausbildung für das gesamte Bildungsteam.

Die Bestandesaufnahme in verschiedenen Kantonen zeigt, dass entsprechende Ausbildungen vielfältig sind und unterschiedlich lange dauern. Das Spektrum der Massnahmen reicht von einzelnen Modulen bis hin zu Ausbildungsgängen, die von Berufsfachschulen, insbesondere von derjenigen in Basel, angeboten werden. In den Westschweizer Kantonen, die ihre Politik in der Regel auf eine universelle und umfassende Perspektive der Frühförderung ausrichten, ist die frühe Sprachförderung häufig Teil von Bildungsangeboten, die sich mit den Herausforderungen der kulturellen Vielfalt befassen. In der Schweiz fehlen Richtlinien für eine allgemeine Weiterbildungspflicht für frühpädagogische Fachkräfte wie das pädagogische Personal in Einrichtungen mit erweitertem oder eingeschränktem Betreuungsangebot (Faeh & Vogt, 2021). Es gibt auch keine Mindestanforderungen in Bezug auf die zu behandelnden Kompetenzbereiche.

Herausforderungen und Empfehlungen

Ausgehend von den verschiedenen Feststellungen empfiehlt die Studie eine umfassende Aus- und Weiterbildung im Bereich der alltagsintegrierten Sprachförderung aller frühpädagogischen Fachkräfte. Da Sprache die gesamte berufliche Tätigkeit betrifft, sollten diese Kompetenzen in der Berufsausbildung auf EFZ oder HF-Stufe systematisch entwickelt werden.

In den frühkindlichen Betreuungseinrichtungen müssen mehr Fachkräfte mit hohen Qualifikationen zur Verfügung stehen.

In den frühkindlichen Betreuungseinrichtungen müssen mehr Fachkräfte mit hohen Qualifikationen zur Verfügung stehen. Personen mit einer Ausbildung auf Tertiärstufe sollen nicht nur im Bereich des Managements ausgebildet sein, sondern auch Interaktionen mit Kindern und Eltern initiieren können. Einige Kantone vor allem in der Westschweiz verlangen einen höheren Anteil an qualifizierten Fachkräften in den Kinderbetreuungseinrichtungen (z.T. mit über 50 % Anteil von dipl. Kindheitspädagoge*in HF). Dieser Ansatz könnte als Modell für die Entwicklung von interkantonalen oder sogar nationalen Standards dienen. Zudem müssen die Kinderbetreuungseinrichtungen über einen ausreichenden Anteil an Personen mit einer pädagogischen Ausbildung verfügen. Um keine Konkurrenz zwischen verschiedenen Ausbildungsgängen zu schaffen, sollte ein nationales Ausbildungsprogramm lanciert werden, um überall in der Schweiz und auf harmonisierte Weise die Qualität der frühkindlichen Bildung zu verbessern, die die Sprachförderung integriert.

Schliesslich empfiehlt die vorliegende Studie Unterstützungsmassnahmen bei erhöhtem Bedarf, beispielsweise wenn Einrichtungen einen hohen Anteil an Kindern aus fremdsprachigen Familien oder Kinder mit besonderen Bildungsbedürfnissen betreuen. Eine bessere interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Personen, die im Frühbereich arbeiten, und Fachpersonen der frühen Sprachförderung wie Logopädinnen und Heilpädagogen sowie weiteren Fachpersonen der heilpädagogischen Früherziehung ist hier angezeigt.

Um die Professionalisierung zu unterstützen, sollte schliesslich die Forschung zur Ausbildung in den pädagogischen Berufen verstärkt werden. Dazu gehört eine bessere Koordination dieser Forschung. So könnte ein nationales Kompetenzzentrum im Rahmen des vom SBFI koordinierten Programms der «Leading Houses» die laufenden oder in Zukunft zu entwickelnden Forschungsarbeiten dynamisieren.

[1] An der Studie arbeiteten neben der Autorin und dem Autor des vorliegenden Textes Franziska Vogt (Pädagogische Hochschule St. Gallen) und Susanne Stern (Studienbüro Infras).

Literatur

  • Dubach, P., Jäggi, J., Stutz, H., Bannwart, L., Stettler, P., Guggenbühl, T., Legler, V., Dimitrova, M. (2018). Qualifikationsbedarf in der Frühen Förderung und Sprachförderung.
  • Faeh, A., & Vogt, F. (2021). Quality beyond regulations in ECEC: Country background report for Switzerland (commissioned by the Swiss Conference of Cantonal Ministers of Social Affairs (SODK) with the support of the Jacobs Foundation). St. Gallen: Centre of Early Childhood Education, St.Gallen University of Teacher Education.
  • SavoirSocial, & SPAS (2021). Rahmenlehrplan Kindheitspädagogik HF. Bern: SavoirSocial & SPAS.
  • SavoirSocial (2020). Bildungsplan Fachmann*frau Betreuung EFZ». Bern : SavoirSocial.
  • Vogt, F., Stern, S., & Filliettaz, L. (Eds.) (2022) Frühe Sprachförderung. Internationale Forschungsbefunde und Bestandes- aufnahme zur frühen Sprachförderung in der Schweiz Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation. St.Gallen, Zürich, Genève: Pädagogische Hochschule St.Gallen, Infras, Université de Genève.
Zitiervorschlag

Filliettaz, L., & Zogmal, M. (2022). Ohne weitere Professionalisierung geht es nicht. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 7(1).

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