Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Professional Literacy

Szenariobasierte berufsspezifische Sprachförderung in der Pflege

Der Erwerb der jeweiligen lokalen Sprache bildet eine wichtige Voraussetzung für die berufliche und gesellschaftliche Integration in der Schweiz. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Umsetzung der szenariobasierten Sprachförderung im Rahmen eines Angebots des Schweizerischen Roten Kreuzes und des Staatssekretariats für Migration. Es hat zum Ziel, Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene beim beruflichen Einstieg in die Pflegehilfe zu unterstützen. Der Beitrag macht deutlich, wie professionelles und sprachliches Handeln in didaktischen Szenarien verknüpft werden können.


Der Name klingt vielversprechend: SESAM. Dank diesem Bildungsangebot öffnet sich anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen die Tür zur Arbeitswelt, der berufliche Einstieg in den Bereich Pflege. Das «All-in-one-Ausbildungspaket» umfasst berufsspezifische Sprachförderung, Förderung von interkulturellen Kompetenzen und eine Berufsausbildung als «Pflegehelfer/in SRK». Dauer: rund ein Jahr. Lanciert wurde das Projekt SESAM vor rund sechs Jahren vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) und dem Staatssekretariat für Migration (SEM). Es umfasst verschiedene Unterstützungsangebote in Form von Sprach- und Theoriekursen sowie Arbeitseinsätzen, die das erfolgreiche Absolvieren des Lehrgangs erleichtern sollen.

Dreisprachige didaktische Szenarien

In diesem Zusammenhang entstand das Teilprojekt «Sprache und Gesundheit», das vom Forschungs- und Arbeitsbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ) der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, geleitet wurde. Die ZHAW erhielt zusammen mit dem Expertenteam Margrit Hagenow und Ernst Maurer den Auftrag, dreisprachige, berufsbezogene didaktische Szenarien zu entwickeln, welche die berufsbezogenen Sprachkompetenzen der Teilnehmenden – anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen – fördern.

Szenarien sind Handlungsserien in prototypischen berufsspezifischen Situationen, in denen die involvierten Personen in bestimmten Rollen agieren.

Szenarien sind Handlungsserien in prototypischen berufsspezifischen Situationen, in denen die involvierten Personen in bestimmten Rollen agieren (vgl. Geschäftsstelle fide, 2020; Thonhauser, 2010, S. 330). In Szenarien erwerben und trainieren Lernende berufsspezifische fachliche und sprachliche Kompetenzen. In einem ersten Schritt galt es, diese für die angehenden Pflegehelferinnen und -helfer notwendigen Kompetenzen und Kommunikationsformen zu definieren. Dies erfolgte in Zusammenarbeit mit Berufsexpertnnen und -experten: Diese beschrieben typische Arbeitssituationen mit einem vorgesehenen Handlungsablauf und spielten Dialoge nach, aus denen das Forschungsteam der ZHAW Sprachhandlungen ableiten konnte. Das Resultat dieser Analyse sind sieben Beispielszenarien zu den Bereichen Ausbildung, Praktikum und Berufsalltag. Alle Szenarien sind öffentlich zugänglich auf der Website von fide (das Kürzel steht für Français, Italiano und Deutsch in der Schweiz) – dem System zur Förderung der sprachlichen Integration von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz.

In Szenarien sprachliche und fachliche Kompetenzen fördern

Wie werden nun diese Szenarien eingesetzt und was bewirken sie? Schauen wir uns ein Beispiel an. Das Szenario «Die betreute Person ins Café begleiten» zeigt eine Handlungsserie in einer typischen Situation von angehenden oder berufstätigen Pflegehelferinnen und -helfern. Innerhalb dieses Szenarios übernehmen die Lernenden die Rolle der Protagonisten und erleben, welche kommunikativen und sprachlichen Ressourcen sie bereits umsetzen können und welche noch weniger gut gelingen. Diese Erkenntnis hilft ihnen danach, die Ziele im Lernprozess zu setzen und schrittweise mehr Verantwortung für ihre eigene Lernentwicklung zu übernehmen. Dabei unterstützt sie die Lehrperson, indem sie die sprachlich-kommunikativen und soziokulturellen Kompetenzen fördert, die für die Bewältigung des Handlungszieles innerhalb des Szenarios relevant sind (Scaffolding nach Gibbons, 2015).

Aufbau eines Szenarios

Die Kreation eines berufsspezifischen Szenarios setzt, wie erwähnt, eine enge Zusammenarbeit mit Berufsexpertinnen und -experten voraus. Hauptbestandteile eines Szenarios sind Szenariobeschreibungen, Kann-Beschreibungen, Kompetenz-Beschreibungen und Konkretisierungen.

  • Kann-Beschreibungen sind Kompetenzbeschreibungen, welche die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten präzisieren, die für die Bewältigung des Szenarios notwendig sind. Sie helfen der Kursleitung, angemessene Schwerpunkte und Lernziele zu setzen und erlauben es, die Lernergebnisse mit den Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) in Beziehung zu setzen.
  • Ergänzend zu den Kann-Beschreibungen werden zu den Szenarien Kompetenzbeschreibungen erstellt. Sie beinhalten auch die nicht-sprachlichen Strategien, welche es für die Bewältigung des Szenarios braucht. Sie ermöglichen somit ein ganzheitliches Verständnis des Szenarios und legen den Fokus auf mehr als «nur» die sprachlichen Ressourcen (vgl. Geschäftsstelle fide, 2020).
  • Konkretisierungen geben schliesslich Hinweise zum professionellen Handeln und den dafür benötigten sprachlichen Ressourcen wie beispielsweise die Grammatik, Lexik oder auch der gezielte Einsatz des Dialekts, welche es für eine erfolgreiche Umsetzung des Szenarios braucht. Zum Lehr-/Lernmaterial gehören auch eine Checkliste zur Selbstevaluation der Lernenden sowie stumme Kurzfilme, welche das Szenario visualisieren (vgl. Konstantinidou & Opacic, 2020). Sämtliche Materialien sind auf der Website von fide zugänglich.

Verknüpfung von Sprach- und Fachinhalten

Die Verknüpfung der Sprach- und Fachinhalte ist essenziell, damit die Lernenden ihre beruflichen Kompetenzen und zugleich das berufsbezogene Sprachwissen ausbauen können.

Die intensive Arbeit in den Projektteams hat spannende Erkenntnisse hervorgebracht. Zum einen ist die Verknüpfung der Sprach- und Fachinhalte essenziell, damit die Lernenden ihre beruflichen Kompetenzen und zugleich das berufsbezogene Sprachwissen ausbauen können. Letzteres umfasst nicht nur die Fachsprache des Berufsfeldes, sondern das professionelle Wissen, das durch Sprache geäussert wird, die sogenannten Codes der jeweiligen Community (vgl. Wenger, 2000). Sprachkursleitern fehlt häufig dieses Wissen, während Fachkundelehrerinnen oft die sprachdidaktische Kompetenz fehlt, um sprachsensibel zu unterrichten, d.h. um bei der Vermittlung von Fachinhalten sprachliche Barrieren zu erkennen und zu überwinden. Vor diesem Hintergrund sind Weiterbildungen für Sprachkursleiterinnen und Fachkundelehrer sowie eine enge Kooperation der Lehrenden zu empfehlen. Dadurch sollen Sprachkursleiter ein Basiswissen der Domäne der Pflege und Fachkundelehrerinnen über ein grundlegendes sprachdidaktisches Wissen erwerben.

Schweizerdialekte als zusätzliche Hürde

Die Kommunikation in der Pflege, insbesondere mit älteren Menschen, erfolgt häufig in schweizerdeutschen Dialekten. Diese wurden bei der Erstellung der Szenarien in der Deutschschweiz berücksichtigt. Für die fremdsprachigen Lernenden ist dies eine zusätzliche Herausforderung, da sie nebst der Standardsprache auch noch Dialektvarianten des Schweizerdeutschen erwerben sollten. Dabei geht es vor allem um rezeptive Fertigkeiten im Dialekt, nämlich um das Verstehen, und zum Teil um den gezielten Einsatz dialektaler Ausdrücke in der mündlichen Interaktion mit den Pflegebedürftigen. Diese Fertigkeiten werden explizit im Rahmen des Sprachkurses gefördert, sollen aber in der Berufspraxis weiterentwickelt werden.

Ein Ansatz für die gesamte berufliche Bildung?

Es stellt sich die Frage, inwieweit sich der hier beschriebene Ansatz der berufsspezifischen Sprachförderung auch für die Sprachförderung im Rahmen der beruflichen Grundbildung an Berufsfachschulen eignen würde. Im allgemeinbildenden Unterricht (ABU) an Berufsfachschulen wird die Förderung von sprachlich-kommunikativen Kompetenzen in Verbindung mit den Themenbereichen Ethik, Identität und Sozialisation, Kultur, Ökologie, Politik, Recht, Technologie und Wirtschaft vorgesehen (vgl. Rahmenlehrplan für den ABU). Im Zentrum des pädagogisch-didaktischen Konzepts stehen die Handlungsorientierung und die Relevanz der behandelten Themen für den (beruflichen) Alltag. Szenarien als Handlungsabläufe im Alltag und Beruf können Handlungs- und Alltagsorientierung sicherstellen. Darüber hinaus ermöglichen sie die Verzahnung von sprachlichen und allgemeinbildenden Inhalten, indem sie kommunikative Aufgaben in Situationen einbetten, für deren Bewältigung nicht nur Sprach-, sondern auch Allgemeinwissen relevant ist. Sollte noch eine Verknüpfung des ABU-Unterrichts mit dem Fachkundeunterricht und eine Zusammenarbeit zwischen den ABU- und den Fachkundelehrpersonen erwünscht sein, dann gewährleisten didaktische Szenarien nicht nur einen berufsrelevanten Sprachunterricht, sondern auch einen sprachsensiblen Fachunterricht.

Literatur

  • Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT (2006). Rahmenlehrplan für den Allgemeinbildenden Unterricht. Bern: BBL Vertrieb und Publikationen.
  • Geschäftsstelle fide (2020): fide Glossar
  • Gibbons, P. (2015). Scaffolding Language, Scaffolding Learning. Portsmouth NH: Heinemann.
  • Konstantinidou, L. & Opacic Aleksandra (2020). Sprachbedarf und berufsspezifische Sprachförderung in der Pflege. Methodische Ansätze für eine kontinuierliche Sprachbegleitung. Sprache im Beruf 11, 208-222.
  • Perrin, D. & Kramsch, C. (2018). Transdisciplinarity in applied linguistics: introduction to the special issue. AILA Review 31(1), 1-13.
  • Thonhauser, I. (2010). Szenario. In H. Barkowski Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.), Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (330). Tübingen: A. Francke UTB.
  • Wenger, E. (2000). Communities of practice: Learning, Meaning and Identity. Cambridge: Cambridge University Press.
Zitiervorschlag

Konstantinidou, L., & Gubler, L. (2021). Szenariobasierte berufsspezifische Sprachförderung in der Pflege. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 6(3).

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