Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Dissertation an der Universität Zürich

Was Berufsfachschullehrpersonen glaubwürdig macht

Lehrpersonen an Berufsfachschulen sind in den Augen der Lernenden erfreulich glaubwürdig. Ihre Glaubwürdigkeit kommt dabei gleichermassen durch fachliche und menschliche Aspekte zustande. Zudem können glaubwürdige ABU-Lehrpersonen viel zur positiven Wahrnehmung ihres Faches beitragen. Dies sind drei Ergebnisse einer Dissertation an der Universität Zürich. Sie kommt zum Schluss, dass in der pädagogischen Ausbildung vermehrt pädagogisches Wissen vermittelt werden sollte – und weniger Unterrichtsrezepte.


In der prominenten Studie «Visible Learning» beschriebt John Hattie (2014) die Glaubwürdigkeit der Lehrperson als viertgrösste Einflussgrösse auf das Lernen (von insgesamt 150); bei den lehrpersonenbezogenen Einflussgrössen nimmt sie gar den ersten Platz ein. Daraus kann man schliessen, dass es beim Lehren vor allem anderen darauf ankommt, dass Lernende ihre Lehrperson in ihrem Tun als glaubwürdig wahrnehmen. Aber wann wird eine Lehrperson als glaubwürdig wahrgenommen und wie beeinflusst die Glaubwürdigkeit der Lehrperson das Verhältnis der Lernenden zum Unterrichtsfach? Diese Fragen wurden in der Studie Die Glaubwürdigkeit der Lehrperson – die Sicht der Lernenden im Kontext des schulischen Unterrichts der beruflichen Grundbildung untersucht. Dabei wurden auch Unterschiede zwischen den Lehrpersonen der beiden Unterrichtsfächer allgemeinbildender Unterricht (ABU) und berufskundlicher Unterricht (BKU) analysiert.

Sowohl Autorität als auch Glaubwürdigkeit müssen einer Lehrperson zugeschrieben werden, was dazu führt, dass es die Lernenden sind, die diese letztendlich definieren.

Einsichtig, vertrauenswürdig und wohlwollend

Forschungsarbeiten geben hinsichtlich der Frage, was Glaubwürdigkeit eigentlich ist, wenig Aufschluss, da sie kaum je eine exakte Begriffserklärung vornehmen und stattdessen gleich zur Operationalisierung schreiten. Grundsätzlich zeigt sich, dass Glaubwürdigkeit eng mit den Begriffen Vertrauen und Autoritätverbunden ist und damit als zentrales soziales Phänomen betrachtet werden kann. Sowohl Autorität als auch Glaubwürdigkeit müssen einer Lehrperson zugeschrieben werden, was dazu führt, dass es die Lernenden sind, die diese letztendlich definieren. Doch aufgrund welcher Eigenschaften der Lehrperson tun sie dies?

Nach Aristoteles, der in seiner Rhetorik die Glaubwürdigkeit der Person als erster systematisch diskutiert und sowohl die theoretische Diskussion als auch die empirische Forschung bis heute beeinflusst, bedingt Glaubwürdigkeit die Zuschreibung von drei Eigenschaften: Einsicht, Vertrauenswürdigkeit und Wohlwollen. Eine Lehrperson muss also erstens hinsichtlich des Unterrichtsstoffs und hinsichtlich dessen Vermittlung (Didaktik) als kompetent wahrgenommen werden. Zweitens muss sie als vertrauenswürdig und drittens als wohlwollend gegenüber den Lernenden gelten. Die beiden letzteren Zuschreibungen zeigen, dass Glaubwürdigkeit nebst einer fachlichen Komponente moralisch konnotierte Komponenten enthält.

Fachlich topp, menschlich flopp? Oder umgekehrt? Von wegen!

Sowohl bei ABU-Lehrpersonen als auch bei BKU-Lehrpersonen manifestiert sich in der untersuchten Stichprobe keine Wahrnehmungsunterscheidung zwischen fachlich und moralisch konnotierten Eigenschaften.

Dass Lernende ihre Lehrpersonen einerseits bezüglich ihrer fachlichen Eigenschaften (Einsicht) und andererseits bezüglich ihrer moralisch konnotierten Eigenschaften (Vertrauenswürdigkeit und Wohlwollen) beurteilen, ist intuitiv nachvollziehbar und wird durch eine Vielzahl von Studien empirisch gestützt. Es ist folglich anzunehmen, dass auch Lernende in der Berufsfachschule die Glaubwürdigkeit ihrer Lehrpersonen demensprechend differenziert beurteilen.

Die Resultate einer konfirmatorischen Faktoranalyse zeigen bei 629 befragten Berufslernenden jedoch ein anderes Bild. Sowohl bei ABU-Lehrpersonen als auch bei BKU-Lehrpersonen manifestiert sich in der untersuchten Stichprobe keine Wahrnehmungsunterscheidung zwischen fachlich und moralisch konnotierten Eigenschaften. Berufsfachschullehrpersonen scheinen demnach grundsätzlich undifferenziert, also in globo wahrgenommen zu werden. Dieser Befund kann dahingehend interpretiert werden, dass es für Lernende schlicht nicht relevant zu sein scheint, ihre Lehrpersonen, die sie durchschnittlich nur einmal pro Woche sehen, allzu differenziert einzuschätzen – zumindest wenn das Lehrperson-Lernende-Verhältnis einigermassen positiv und stabil ist.

Kein Imagetransfer vom Fach auf die Lehrperson …

In der Studie wurde auch der Zusammenhang zwischen Glaubwürdigkeitszuschreibung und dem Unterrichtsfach untersucht. Für eine solche Analyse eignet sich das Feld des schulischen Unterrichts der beruflichen Grundbildung gut. Schliesslich stehen sich gerade hier zwei Unterrichtsfächer gegenüber, die sich sowohl hinsichtlich ihrer inhaltlichen Nähe zum (mehr oder weniger) gewählten Beruf als auch hinsichtlich ihrer formalen Relevanz für das Qualifikationsverfahren stark unterscheiden (der ABU ist weniger relevant für den Abschluss eines EFZ). Studien, die in Berufsfachschulen einen Fächereffekt auf das Lehrpersonenrating untersuchen, liegen meines Wissens keine vor. Studien im universitären Kontext ergaben letztlich keinen Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Lehrpersonenrating und dem Unterrichtsfach. Die Resultate der hier gemachten Studie unterstützen diese Sichtweise. Die beiden Glaubwürdigkeitsmittelwerte unterscheiden sich zwar gering und statistisch signifikant. Ein Effekt des Unterrichtsfachs auf die Beurteilung der Lehrperson zeigt sich dabei jedoch nicht (Cohens d: 0.07). Erfreulich sind die ausgesprochen hohen Werte, die auf eine intakte Glaubwürdigkeit der Berufsfachschullehrpersonen hinweisen (Glaubwürdigkeit der Lehrperson auf der einer 7-stufigen Skala: ABU 6.02 (SD 1.02), BKU 6.09 (SD 0.77)).

… aber von der Lehrperson auf das Fach

Während bei Lernenden die Wahrnehmung des Unterrichtsfachs keinen Effekt auf die Wahrnehmung der (Glaubwürdigkeit der) Lehrperson zu haben scheint, wird oft von einem Effekt in anderer Richtung ausgegangen. Dieser wird auch als Imagetransfermechanismus bezeichnet (Kopperschmidt, 2007), der dazu führt, dass glaubwürdige Lehrpersonen es vermögen, die Sichtweise der Lernenden auf ein Fach zu verändern. Lehrpersonen unterrichten ein Fach nicht bloss, sondern repräsentieren es. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass Lernende beginnen, sich über die Lehrperson mit dem Fach zu identifizieren. So beeinflussen die Lehrpersonen nicht selten ganze Bildungsbiographien von Lernenden: Wer kennt keine Fälle, in denen eine Lehrperson massgebend für die spätere Ausbildungswahl eines jungen Menschen war?

In der Studie konnte belegt werden, dass die Glaubwürdigkeit der Lehrperson einen positiven Effekt auf die Relevanzeinschätzung hinsichtlich des Fachs einerseits und auf die Freude am Fach andererseits ausübt. Beides sind wesentliche Komponenten einer beruflichen Identität, was als empirischen Nachweis eines Imagetransfermechanismus interpretiert werden kann. Interessant ist hierbei das Resultat, dass sich im ABU – also dem Fach mit kleinerer Abschlussrelevanz – ein signifikant grösserer Imagetransfermechanismus manifestiert als im BKU. Verallgemeinernd kann dieses Resultat so gedeutet werden, dass Lehrpersonen vor allem in formal weniger relevanten Unterrichtsfächern (Nebenfächern) die Einstellung und somit unter anderem die Leistungsintention der Lernenden beeinflussen können (und müssen).

Glaubwürdig bleiben in der Banalität des alltäglichen Scheiterns

Obwohl die Klassenführung oft als schwierige Aufgabe für Lehrpersonen bezeichnet wird, spielt das diesbezügliche Wissen in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen grundsätzlich aber eine erstaunlich geringe Rolle.

Wie können Lehrpersonen ihre Glaubwürdigkeit beeinflussen? In einem prominenten Experiment, das später als Dr.-Fox-Experiment  bekannt wurde (Naftulin, Ware Jr, Donnelly, 1973), liess man einen gewissen Dr. Fox, den man als führende Fachperson auf dem Gebiet der Spieltheorie einführte, vor einer Gruppe von Fachpersonen ein Referat zum Thema Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten halten. Die Fachpersonen wurden daraufhin zur Qualität des Referats befragt. Dabei wurde das Referat ausnahmslos als sehr interessant und lehrreich bewertet. Was die Fachpersonen nicht wussten, war, dass es sich bei Dr. Fox nur um einen Schauspieler handelte, der über kein eigentliches Wissen zum Thema verfügte, sich beim Referat einzig auf ein paar auswendig gelernte Begriffe bezog und dabei möglichst überzeugend wirken sollte … und somit nur aufgrund seiner Rhetorik als glaubwürdig wahrgenommen wurde.

So eindrücklich die Ergebnisse des Experiments ausfallen, so fragwürdig erscheinen dessen Bedeutung für das Phänomen der Glaubwürdigkeit der Lehrperson. Schliesslich kann diese im Kontext eines langfristigen wiederkehrenden Unterrichts durch die Nähe und die Komplexität der Interaktion nur beschränkt artifiziell durch kommunikationspsychologische Techniken beeinflusst werden. In der Banalität des alltäglichen Scheiternskommt früher oder später der unverstellte Mensch mit seinen (beschränkten) Fähigkeiten und Tugenden zum Vorschein. Kopperschmidt verweist hierzu auf Hegel und sagt: «Für den Kammerdiener gibt es keinen Herrn, will sagen: unter den Bedingungen alltäglicher Schulpraxis kann kein Starkult gedeihen» (2007, S. 155). Es stellt sich demnach hinsichtlich der Glaubwürdigkeit in der Lehrpersonenrolle vielmehr ein Kammerdiener-Effekt als ein Dr. Fox-Effekt ein.

Implikationen für die Aus- und Weiterbildung

Die Glaubwürdigkeit einer Lehrperson wird also aufgrund ihrer täglichen Performanz vor der Klasse an- oder aberkannt. Innerhalb dieser Performanz scheint die sogenannte Klassenführung, – die Herbeiführung von Kooperation, aktiver Mitarbeit, Ordnung und guter Beziehung –, für die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit zentral zu sein. Obwohl die Klassenführung oft als schwierige Aufgabe für Lehrpersonen bezeichnet wird, spielt das diesbezügliche Wissen in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen grundsätzlich aber eine erstaunlich geringe Rolle.

Die Souveränität einer Lehrperson in problematischen und unvorhersehbaren Interaktionen basiert jedoch nicht nur auf einem adäquaten Führungswissen, sondern gründet tiefer auf einer stabilen pädagogischen Identität. Die Lehrperson wird schliesslich erst dann als glaubwürdig wahrgenommen, wenn die Lernenden einerseits hinsichtlich des Fachs und andererseits auch der Art und Weise, wie dieses Fach vermittelt werden soll, eine klare und stabile Haltung bei der Lehrperson wahrnehmen können. Dies bedingt, dass die Lehrperson gundsätzlich weiss, «wo sie steht», und erfordert – nebst Erfahrung – ein bestimmtes Mass an pädagogischem Orientierungswissen, wobei gerade Theorien und Konzepte der allgemeinen Pädagogik von Bedeutung sind, weil diese erst «eine Sprache zur Beschreibung von Orientierungsprozessen ermöglichen» (Reichenbach, 2013, S. 54).

Zusammenfassend unterstützen die Erkenntnisse der Studie die verbreitete Forderung, dass in der Aus- und Weiterbildung erstens relevantes Wissen hinsichtlich der Interaktion mit Lernenden (insbesondere bezüglich der Klassenführung) und zweitens Orientierungswissen als Basis einer stabilen pädagogischen Identität verstärkt erarbeitet werden sollten. Beides wird durch eine allzu starke Gewichtung der Vermittlung von fachdidaktischem Verfügungswissen (Unterrichtsrezepte) tendenziell verdrängt.

1 Die Glaubwürdigkeit der Lehrperson wurde in über 50 quantitativ-empirischen Studien untersucht, wobei sich diese vor allem auf die Befragung von Studierenden der Kommunikationspsychologie beschränken.
2 Quantitative elektronische Befragung von 41 Klassen aller Lehrjahre am Berufsbildungszentrum IDM Thun im Herbstsemester 2015 (Gelegenheitsstichprobe).
3 Die Glaubwürdigkeit der Lehrperson wurde mit dem verbreiteten dreidimensionalen Messmodell von McCroskey & Teven (1999) gemessen, in dem die drei Glaubwürdigkeitsdimensionen (Einsicht, Vertrauenswürdigkeit und Wohlwollen) mit je sechs Items erfragt wurden.
4 Die Wirkung der Glaubwürdigkeit der Lehrperson auf die unterrichtsbezogenen Überzeugungen wurde über ein eigenes Strukturgelichungsmodell, basierend auf der erweiterten Theorie geplanten Verhaltens (Fishbein & Ajzen, 2011), untersucht.

Quellen

  • Fishbein, M., & Ajzen, I. (2011). Predicting and changing behavior. The reasoned action approach. New York: Taylor & Francis.
  • Hattie, J. (2014). Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Hohengehren: Schneider.
  • Kopperschmidt, J. (2007). Über den Nutzen der Rhetorik für die Pädagogik. Anmerkungen zu einem nüchternen Befund. In B. Fuchs & C.
  • Schönherr (Hrsg.), Urteilskraft und Pädagogik – Beiträge zu einer pädagogischen Handlungstheorie (S. 145–160). Würzburg: Königshausen & Neumann.
  • McCroskey, J. C., & Teven, J. J. (1999). Goodwill: A reexamination of the construct and its measurement. Communications Monographs, 66(1), 90–103.
  • Naftulin, D. H., Ware Jr, J. E., & Donnelly, F. A. (1973). The Doctor Fox lecture: A paradigm of educational seduction. Academic Medicine, 48(7), 630–5.
  • Reichenbach, R. (2013). Für die Schule lernen wir. Plädoyer für eine gewöhnliche Institution. Seelze: Klett Kallmeyer.
Zitiervorschlag

Berger, M. (2017). Was Berufsfachschullehrpersonen glaubwürdig macht. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 2(2).

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