Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Leitfaden für die Praxis

Wie man Mitarbeitende im Beruf hält

Immer mehr Personen verlassen bereits nach wenigen Jahren ihren ursprünglich erlernten Beruf. Diese berufliche Mobilität stellt die Branchen vor die Herausforderung, gut qualifizierte Arbeitnehmende zu halten und bedarfsorientiert weiterzubilden. Eine Studie der ETH und der Universität Bern untersucht, welche Faktoren zu beruflicher Mobilität beitragen und wie der Abwanderung entgegengewirkt werden kann. Die wichtigsten Ergebnisse sind in einen Leitfaden eingeflossen, der sich mit konkreten Empfehlungen an Arbeitgeberinnen und Führungspersonen wendet.


In der heutigen Arbeitswelt sind die beruflichen Möglichkeiten und Wege nahezu unbegrenzt. Es überrascht daher auch nicht, dass die Anzahl an Arbeitnehmenden, die nicht mehr im erlernten Beruf tätig sind, von Generation zu Generation steigt (Sheldon, 2005). Studien zeigen, dass über die Hälfte der Schweizer Arbeitnehmenden im Verlauf ihres Erwerbslebens ihren ursprünglich erlernten Beruf verlassen (Schellenberg et al., 2015). Besonders häufig tritt eine berufliche Umorientierung direkt nach der Berufslehre bei Personen im Alter zwischen 21 und 22 Jahren auf (Maier & Fleischmann, 2008). Dies stellt verschiedene Branchen vor die Frage, wie Arbeitnehmende zum Verbleib im Lehrberuf motiviert werden und so langfristig qualifizierte Berufsleute erhalten bleiben können.

Studien zeigen, dass über die Hälfte der Schweizer Arbeitnehmenden im Verlauf ihres Erwerbslebens ihren ursprünglich erlernten Beruf verlassen.

Eine Antwort auf die Frage, wie Arbeitnehmende für einen Verbleib im Beruf motiviert werden können, liefert die Arbeitspsychologie, die sich unter anderem mit der Arbeitsgestaltung und ihren Auswirkungen auf die berufliche Zufriedenheit beschäftigt. Unter dem Sammelbegriff Arbeitsgestaltung werden Massnahmen und Strategien, die zur optimalen Gestaltung von Arbeitssystemen und -tätigkeiten, Arbeitsabläufen und Arbeitsbedingungen beitragen, zusammengefasst. Neben präventiven oder korrektiven Massnahmen, die gesundheitlich relevante Aspekte von Arbeit betreffen, wie etwa Lärmschutz oder Arbeitsplatzergonomie und Vermeidung von stressauslösender Überforderung, gilt es zudem Perspektiven zu schaffen, in der die persönliche Entwicklung der Arbeitnehmenden gefördert wird (Ulich, 2001).

Ob Personen über weite Teile ihrer Karriere innerhalb eines Berufs oder einer Branche verbleiben, wird also von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Faktoren, die aus Sicht der Arbeitnehmenden selbst zum Verbleib im Beruf beitragen, sind dabei speziell zu berücksichtigen, da sie für Unternehmen und Berufsverbände wichtige Hinweise liefern, worauf bei einer karriereförderlichen Arbeitsgestaltung geachtet werden sollte.

In einer Studie der ETH Zürich und der Universität Bern wurden Arbeitnehmende aus verschiedenen Berufen und Branchen zu solchen unterstützenden Faktoren befragt.1 Im vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) geförderten Projekt wurden Interviews mit über 30 Personen geführt und untersucht, wie Arbeitsgestaltung, Arbeitsengagement und berufliche Identifikation zusammenspielen. Ziel war es, für diese Berufe Unterschiede hinsichtlich karrierefördernder Merkmale, Unterstützung in der berufliche Grund- und in der Weiterbildung sowie bezüglich der individuellen Beschäftigungsfähigkeit und des Arbeitsengagements der Angestellten zu beurteilen.

Acht Grundpfeiler der Zufriedenheit

Als ein wichtiges Ergebnis der Studie wurden acht Grundpfeiler identifiziert, die zu einem langfristigen Verbleib im Beruf beitragen. Nachfolgend werden diese acht Grundpfeiler beschrieben und einzelne Empfehlungen abgeleitet. Der Leitfaden richtet sich an Unternehmen, die Arbeitnehmende langfristig für einen Verbleib in ihrem Beruf motivieren möchten. Damit soll nicht zuletzt die Nachhaltigkeit des Schweizerischen Berufsbildungssystems gefördert werden. Für jeden Grundpfeiler wird eine Empfehlung speziell hervorgehoben, die als besonders wirksam angesehen wird. Da die Empfehlungen inhaltlich teilweise zusammenhängen, können sie gut miteinander kombiniert und so in ihrer Wirksamkeit verstärkt werden. Detaillierte Empfehlungen für Arbeitgeber und Führungspersonen können dem kostenlos zugänglichen Leitfaden (PDF) entnommen werden.

1. Berufliche (Weiter-)Entwicklung ermöglichen Unterstützung durch den Arbeitgeber in der beruflichen (Weiter-)Entwicklung werden von Arbeitnehmenden sehr geschätzt. Am Ball zu bleiben sowie das eigene Wissen und Aufgabengebiet zu vergrössern, sind dabei wichtige Ziele. Dies kann «on the Job», also im Berufsalltag, sowie durch formale Weiterbildungen erfolgen.

2. Konstruktiven Umgang mit Veränderungen fördern und vorleben. Arbeitnehmende profitieren von einer positiven und konstruktiven Haltung des Arbeitgebers gegenüber Veränderungen, weil diese Haltung sie motiviert, selbst auch offen und neugierig gegenüber Neuem zu bleiben. Speziell im Bereich der technologischen Veränderungen sehen Arbeitnehmende eine Chance für arbeitserleichternde Massnahmen und Lernen; dadurch wird der Beruf als attraktiver empfunden.

3. Sinnhaftigkeit fördern. Das Gefühl, einer sinnhaften Tätigkeit nachzugehen, ist für viele Arbeitnehmende wichtig. Wird der eigene Beruf als relevant und wichtig eingeschätzt, sei es für Kundinnen und Kunden oder für gesellschaftliche Zukunft, steigt die Identifikation. Den eigenen Beruf zu mögen, hält die Motivation für den Beruf aufrecht. Auch das Engagement in einem Berufsverband fördert die Verbundenheit mit dem Beruf. Zudem empfinden es viele Arbeitnehmende als sinnstiftend, wenn sie ein Vorbild sein und ihr Wissen weitergeben können.

4. Herausforderungen im Alltag gemeinsam meistern. Herausforderungen gehören zum Berufsalltag, bedingt durch komplexe Aufgaben und Arbeitsbedingungen, (technologische) Veränderungen oder fordernde soziale Interaktionen. Daher ist es für Arbeitnehmende im Alltag wichtig, dass Herausforderungen vom Arbeitgeber und von Vorgesetzten wahrgenommen, anerkannt und gemeinsam angegangen werden. Herausforderungen können auch motivierend wirken und Freude bereiten, weshalb ein positiver Umgang mit Herausforderungen gefördert werden sollte.

5. Soziale Beziehungen im Beruf fördern. Soziale Interaktionen und Beziehungen im Beruf sind für Arbeitnehmende zentral. Sie schätzen es besonders, Unterstützung und Vertrauen vom Arbeitgeber und von Vorgesetzten zu erfahren, gerade auch zu Beginn ihrer Karriere. Es ist vielen ein Anliegen, zusammen mit Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen eine unterstützende Arbeitsumgebung zu schaffen, um auch anspruchsvolle Situationen gemeinsam zu meistern. Zudem werden Wertschätzung und Anerkennung durch Kundinnen und Kunden als bereichernd erlebt, Gelegenheiten dafür können gezielt gefördert werden.

6. Verschiedene Anforderungen des Berufs- und Privatlebens berücksichtigen. Arbeitnehmende stehen zunehmend in einem Spannungsfeld zwischen Berufs- und Privatleben. Eine ausgewogene Balance gewinnt daher für sie an Bedeutung. Arbeitgeber sollten offen dafür sein, die Anforderungen aus den verschiedenen Lebensbereichen der Arbeitnehmenden zu berücksichtigen, damit Berufs- und Privatleben besser in Einklang gebracht werden können.

7. Ressourcen der Mitarbeitenden kontextübergreifend nutzen. Arbeitnehmende eignen sich im Berufs- wie auch im Privatleben Fähigkeiten an, die im jeweils anderen Bereich ebenfalls genutzt werden können. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmende bereit sind, die kontextübergreifende Nutzung dieser Ressourcen zu fördern, können beide profitieren.

8. Vermeidbare Arbeitgeberwechsel erkennen und verhindern. Gründe für einen Arbeitgeberwechsel können die vorherrschenden Arbeitsbedingungen sein; aber auch der Wunsch nach einer beruflichen Weiterentwicklung kann einen Wechsel veranlassen. Wenn solche Gründe frühzeitig erkannt werden und beim Arbeitgeber die Bereitschaft besteht, den Arbeitnehmenden entgegenzukommen, kann dem Verlust von qualifizierten Arbeitnehmenden vorgebeugt werden.

Den Praxisleitfaden erhalten Sie über diesen Link. Kontakt: Guri Medici

1 Autorinnen und Autoren der Studie waren: Guri Medici und Gudela Grote, ETH Zürich, sowie Andreas Hirschi und Ivana Igic, Universität Bern

Literatur

  • Maier, U., & Fleischmann, D. (2008). Wenn der Käser als Einkäufer zu arbeiten beginnt. Panorama.
  • Schellenberg, C., Schmaeh, N., Häfeli, K., & Hättich, A. (2015). Horizontale und vertikale Mobilität in Berufsverläufen vom Jugendalter bis zum 49. Lebensjahr. In K. Häfeli, M. P. Neuenschwander, & S. Schumann (Eds.), Berufliche Passagen im Lebenslauf (pp. 305–333). Springer Fachmedien Wiesbaden.
  • Sheldon, G. (2005). Der berufsstrukturelle Wandel der Beschäftigung in der Schweiz 1970–2000. BFS.
    Ulich, E. (2001). Arbeitspsychologie. 5, vollständig überarb. Und erw. Aufl. Schäffer-Poeschel.
Zitiervorschlag

Medici, G., & Igic, I. (2020). Wie man Mitarbeitende im Beruf hält. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 5(2).

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