Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Tagungsbericht von Theo Wehner

Wie Problem-based Learning Sinn macht

Formen des Problem-based Learning (pbl) halten in der Sekundarstufe II Einzug. Eine Tagung Mitte Juni erlaubte eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Konzept. Es zeigte sich, dass pbl-Ansätze eigentlich strategisch, zumindest aber curricular in den Lehrinstitutionen fest verankert und nicht zur Auflockerung der Lernenden eingesetzt werden sollten. Die Tagung förderte zudem durchaus Gemeinsamkeiten mit der konkurrierenden Lehrmethode zutage, der instruktionistischen Wissensvermittlung. Eine Tagungsphänographie.1


Das Forschungs- und Praxisinteresse und damit das Know-How von drei Zürcher Hochschulen2 zum Problem-based Learning (pbl) floss in die Gestaltung des Kongresses an der Pädagogischen Hochschule Zürich ein. Das spricht nicht nur für die Kooperationsbereitschaft, sondern auch – wie die Kongressteilnehmenden erleben durften – von selten erlebter Kooperationskompetenz der Veranstalter. Bei der Auswahl der Keynotes der Sessions und Workshops wurde nicht der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den institutionellen Interessen angestrebt; zugelassen wurde vielmehr die Kontroverse zwischen pbl-Verfechtern und der dezidierten Gegenposition: dem instruktionistischen Wissensvermittlungsansatz.

Auch wenn die theoretische Rahmung für pbl-Ansätze noch fehlt,  so reicht es auf lange Sicht nicht, ständig und mitunter etwas beliebig Anleihen bei Dewey, Piaget, Bandura oder Bruner zu machen; es braucht einen neuen mutigen Wurf.

Dass, in einer eigens organisierten «kontradiktischen Diskussion» zwischen Henk Schmidt (NL) und John Sweller (AUS) – moderiert von Elsbeth Stern (CH) –, die sicher vorhandenen Trennlinien oder gar Gräben zwischen den beiden Ansätzen nicht kämpferisch herausgearbeitet wurden, lag sicher auch am kollegialen Bewusstsein zweier mit hoher Reputation und Glaubwürdigkeit ausgestatteter Wissenschaftler. Es liegt womöglich aber auch daran, dass anscheinend konkurrierende didaktische Konzepte nicht in «entweder-oder», sondern in «sowohl-als-auch» Kategorien angewandt werden sollten. Für die empirisch orientierte Forschung und Praxis sollte es ohnehin üblich sein, kontinuierlich den Geltungsbereich von Konzepten auszuloten. Es lässt sich wissenschaftshistorisch gut belegen, dass nicht nur zum Beginn von Konzeptentwicklungen nicht selten Überdehnungen übersehen werden und mit der Zeit notwendige Relativierungen schwer fallen. Kennt man den Geltungsbereich und damit auch die Grenzen von Konzepten, so lassen sich – wiederum gut belegbar – meist Überlappungen erkennen und praktisch nutzen oder auch bestehende Trennlinien schärfen, so dass sie zur Festigung der jeweiligen theoretischen Annahmen beitragen können.

Wenn also der Disput nicht «geglückt» ist und der Tagungsbeobachter dennoch von einem gelungenen Kongress spricht, so sind es wohl die Gemeinsamkeiten zwischen den Gegensätzen und auch innerhalb dessen, was sich zwischen problembasiertem, projektorientiertem oder forschungsgeleitetem Lernen sowie den verschiedenen Anwendungsfeldern (Gesundheitsberufe, Lehrerbildung etc.) ausmachen lässt: Derer gäbe es viele zu berichten – drei seien hervorgehoben.

  1. Eine Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen problemorientierten Konzepten und dem instruktionsverpflichtenden Ansatz ist die bis heute fehlende umfassende theoretische Fundierung (die jedoch allenfalls einer experimentierfreudigen, variantengenerierenden Praxis zum Vorteil gereicht). Vor diesem Hintergrund wird pbl rasch zur «Philosophie», zur «Ermächtigungsdidaktik» oder zum allumfassenden «Learning Principle» erhoben. Auch wenn die theoretische Rahmung für pbl-Ansätze noch fehlt,  so reicht es auf lange Sicht nicht, ständig und mitunter etwas beliebig Anleihen bei Dewey, Piaget, Bandura oder Bruner zu machen; es braucht einen neuen mutigen Wurf. Hierzu wiederum müsste im Vorfeld Begriffsarbeit geleistet werden, wozu die Keynote von Gabi Reinmann einen vorzüglichen Beitrag3 geleistet hat.
  2. Einigkeit, und zwar wiederum über die Trennlinie zwischen den didaktischen Ansätzen Instruktion vs. Problemorientierung hinweg und innerhalb der verschiedenen Konzepte, bestand darin, dass Wissen der Stoff ist, der nicht nur Denken, sondern auch Lernen ermöglicht. Es genügt nicht, interessante Probleme oder paradigmatische Fälle vorzugeben und verallgemeinerbare, transferierbare Lernresultate (und nicht nur akzeptable Lösungen) zu erwarten, ohne – im Lehr- Lernsetting – auf die Notwendigkeit von Vorwissen und zur Nutzung von Wissen hingewiesen zu haben. Da die Wissensordnung in der Moderne nun aber nicht mehr davon ausgehen kann, dass Wissen etwas Festes, ein «stock» ist und darüberhinaus auf Vorrat angeeignet werden kann, sondern die Halbwertzeit gering und Wissen in «flows» eingebunden ist sowie Anschlussfähigkeit (connectivity bzw. conectedness) als Gütekriterium anzusehen ist, fragt sich, auf welches (reliables, womöglich gar objektives) Wissen bzw. Vorwissen derer, die Probleme zu lösen haben, mit Erfolg zurückgegriffenen werden könnte. Unter Umständen muss beim Problem-based Learning – insbesondere bei Problemen, die nicht «well-defined» sind –  erst neues Wissen generiert werden, um es dann bei den Lösungsversuchen zu erproben. Für den Beobachter der Tagung lag genau hier der Unterschied zwischen den beiden didaktischen Konzepten: Instruktionsorientiertes Lernen braucht klar definierte Probleme, die ein-eindeutige Lösungen ermöglichen und einen validen Bestand an Wissen aufzubauen versuchen. Demgegenüber sollte pbl dort eingesetzt werden, wo schlecht definierte Probleme anschlussfähige Lösungen hervorbringen müssen, dort also, wo Handeln und Entscheiden unter Unsicherheit gefordert ist. Vor dem Hintergrund der rasant zunehmenden Digitalisierung (Industrie 4.0) und dem damit verbundenen Rationalisierungspotenzial in fast allen Berufsfeldern (Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten 20 Jh. bis zu 50% der Berufstätigen ihren Arbeitsplatz verlieren werden, Frey, C.B. & Osborne, A.: The future of empolyment: How susceptible are jobs to computerisation? Oxford University, September 17, 2013), übernehmen Roboter jene Aufgaben, die gut definierbar und damit vollständig algorithmisierbar sind, während noch verbleibende, von Menschen zu verrichtende  Tätigkeiten sich dadurch auszeichnen werden, dass sie wissensintensive, schöpferische Anforderungen stellen, Handeln unter Unsicherheit erfordern und versuchen, «ill-defined Problems» angemessen zu lösen bzw. zu bearbeiten.
  3. Relative Einigkeit bestand – sowohl in Workshops, als auch in zwei Positionsreferaten und in Pausengesprächen – darin, dass pbl-Ansätze eigentlich strategisch, zumindest aber curricular in den Lehrinstitutionen fest verankert und nicht ad libitum, zur Auflockerung oder Aktivierung der Lernenden, eingesetzt werden sollten. In verschiedenen Workshops war denn auch zu spüren, dass die Vortragenden «voll» hinter dem jeweils präsentierten Konzept stehen und in gewisser Weise «Branding» betrieben. Inwieweit ein geschlossenes Profil bzw. strategische Vorgaben die didaktische Flexibilität einschränken oder gar die Freiheit der Lehre tangieren, wurde nicht thematisiert. In Pausengesprächen wurden diese Bedenken sogar schwer nachvollzogen. Häufiger erfolgte an dieser Stelle der Hinweis auf den orientierenden Charakter einer strategischen Ausrichtung der Institutionen – sowohl für die Studierenden, als auch für Lehrende.

Fünf Prinzipien für wirksames Lernen

In einem Blog-Beitrag hat Geri Thomann fünf Prinzipien zur Gestaltung von erwachsenengerechtem und kompetenzorientiertem Unterricht formuliert. Eine Checkliste und ein grafisch dargestelltes Modell helfen Lehrenden und Lernenden, den Lernprozess gewinnbringend zu gestalten.

An jedem Kongress regen die Vorträge, Workshops und vor allem auch die informellen Gespräche dazu an, den Denk- und Problemraum zu weiten, was dazu führt, dass man eigentlich doch gerne noch etwas hierzu und dazu gehört hätte. Mir ging es im Hinblick auf zwei Themen so und es ist sicher kein Zufall, dass es Themen sind, die die eigene Forschungstradition betreffen.

  1. Die im erzieherischen und pädagogischen Prozess relevante Akzentuierung der Dreiteilung «Kopf-Herz-Hand» hätte nicht wegen dem Lokalkolorit bzw. dem genius loci thematisiert werden sollen, sondern hätte Möglichkeit geboten, die emotionalen (bei dem Zürcher Pestalozzi waren es noch die sittlichen) Anteile und die Bedeutung der sensomotorischen Aspekte beim Lernen im Allgemeinen und beim pbl im Besonderen hervorzuheben. Die teilweise ausschliessliche Betrachtung kognitiver Prozesse greift im Lehr-Lernsetting und der Anwendung didaktischer Konzepte zunehmend zu kurz, vor allem, wenn die oben genannten Überlegungen zum Tätigkeitsspektrum der Zukunft mit einbezogen werden: Roboter brauchen keine praktischen Fertigkeiten und emotionale Empfindungen um ihre Algorithmen zur Anwendung zu bringen; menschliches Tätigsein hingegen zeichnet sich gerade hierdurch aus.
  2. Nur in einem Satz4 wurde für mich hörbar darauf hingewiesen, dass Lehr- und Lernprozesse immer auch mit Scheitererfahrungen zu tun haben. Ansonsten wurde zwar mitunter von Schwierigkeiten, Barrieren oder Stolpersteinen im pbl-Prozess gesprochen, die potenzielle Vitalität von Fehlern, Irrtümern, Pannen dem Misslingen oder Missgeschick – kurz: den nicht-intendierten und zum Teil sicher auch unerwünschten Ereignissen beim problembasierten Lernen haben Referierende und Diskutierende wenig Aufmerksamkeit geschenkt: Ein mögliches Motto für eine Anschlusstagung?
1 Als Phänographie bezeichne ich (in anlehnender Abwandlung von K. Holzkamp 1976, S.21), einen subjektiven Bericht, der nicht hoch-reflektiert, sondern beschreibend daherkommt und anschlussfähig bei all jenen sein sollte, die dem Phänomen (hier einer Tagung) beigewohnt haben. Bei allen anderen Rezipientinnen sollte er Interesse für den Gegenstand wecken. Im Gegensatz zu einer phänomenologischen Betrachtung wir hier nicht der elaborierte, sonderm ein restringierter Code gewählt: Als «holzschnittartig» könnte das Vorgehen auch bezeichnet werden.
2 Der Kongress, durchgeführt in der phzh am 16./17. Juni 2016, wurde in sichtbar gelungener Kooperation, von der Careum Stiftung, der Pädagogischen Hochschule Zürich und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften getragen.
3 Die Ausführungen können demnächst in der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (ZHE) unter dem Titel: «Gestaltung akademischer Lehre: Semantische Klärungen und theoretische Impulse zwischen Problem- und Forschungsorientierung» nachgelesen werden.
4 «Die Besonderheit des forschenden Lernens liegt darin, dass – vom Lehrenden nur wenig steuerbar – potenziell neues Wissen durch Forschung geschaffen wird und dieser Prozess auch scheitern kann (Schulmeister, 2002)» (in: G. Reinmann, ZHE, im Druck, S.7).
Zitiervorschlag

Wehner, T. (2016). Wie Problem-based Learning Sinn macht. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 1(1).

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